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03 Nordmar und Varant


Streit und Wahnsinn
Wie die Präsenz der Nordmarer Söldner in Al Shedim Missgunst und verrückte Ereignisse provoziert

Rebekkas Taverne sieht ruhig aus, von weitem betrachtet. Merkwürdige Möbel zieren den Schankbereich des zeltartig konzipierten Etablissements, klapprig und vollkommen unpassend. Und noch etwas fällt auf: kein einziger Nordmarer hält sich hier auf.
Neid und Missgunst scheinen sich über die Straßen Al Shedims gelegt zu haben, seit die Magier einen Auftrag an die Söldner aus Nordmar vergaben, die Nomaden bei ihren Aufgaben zu unterstützen. Viele der Nomaden jedoch wollen diese Hilfe überhaupt nicht, und bei manchen scheint die Aggression schon bei der bloßen Erwähnung der „Nordlinge“ seltsame Dimensionen anzunehmen. Der Grund hierfür liegt im Selbstverständnis der Nomaden als Brüder der Wassermagier verborgen. So ist es eine der größten Ehren für einen der Wüstenkrieger, den Tempel, das Heiligtum ihres Volkes, und damit auch die Wassermagier als ihre geistigen Führer zu beschützen. Plötzlich jedoch wurde über die Köpfe der Nomaden hinweg ein Abkommen mit praktisch Fremden getroffen, eben diese Aufgabe zu übernehmen. So gesehen ist die Wut der Nomaden Al Shedims verständlich - und dennoch fällt ein Vermitteln schwer.

Wie aus dem Nichts hatten einige verärgerte Nomaden eine heftige Schlägerei in der Taverne losgetreten, die von den prügelerfahrenen Nordmarern, unter denen sich auch noch einige der ehemaligen Söldner Lees finden, posthum erwidert wurde. Beinahe sämtliches Mobiliar wurde bei dieser Aktion zerstört, ebenso wie die Ruhe vieler unbescholtener Einwohner, deren Zelte sie kaum von dem Lärm abschirmten, gestört wurde.
Die Folgen waren nicht nur mit Sachschaden zu bemessen: das gesamte Interieur der Taverne musste durch eine Notgarnitur ersetzt werden, anfallende Kostenerstattungen stehen noch aus. Außerdem erhielten alle am Kampf Beteiligten ein vorübergehendes Hausverbot, welches eine gewisse Eigendynamik entwickelte, da die verärgerten Nomaden es kurzerhand zu einem generellen Hausverbot für Nordmarer erweiterten. Dieses ist zwar mittlerweile wieder aufgehoben, aber dennoch kann ein Nordmann sich noch keineswegs akzeptiert fühlen.
„Ich kann da nichts machen“, beteuert Maris, der die Nomaden Al Shedims anführt, „die Kerle haben ihren eigenen Kopf. Mehr, als den Schwachköpfen unter ihnen ordentlich den Kopf zu waschen, kann ich nicht.“
Auch Xorag, der Anführer der momentanen Söldnerbesatzung, sieht die Lage kritisch. „Wir versuchen, die Nomaden nicht unnötig zu provozieren, aber das ergibt sich leider immer wieder von selbst.“

Richtig, denn in fremden Regionen herrschen andere Sitten und Wertschätzungen vor, sodass es schnell zu Missverständnissen kommen kann. Da reicht es schon, wenn ein Nordmann mit seiner direkten Art den Schuhverkäufer seiner Wahl auf dem kleinen Al Shedimer Markt verärgert. Manchmal jedoch ergeben sich ganz unabhängig von der Herkunft kuriose Geschichten.
Wie wir bereits in vergangenen Ausgaben berichteten, hatte eine gefährliche Pflanzenplage den gesamten Rat des Wassers niedergestreckt und die Stadt in den vergangenen Monden in Aufruhr gehalten. Doch nur, weil die Bedrohung durch das Grünzeug nun gewichen ist, hören die Studien daran nicht auf. So hatte ein fremdländischer Alchimist namens Fu Jin Lee auf Erlaubnis Myxirs hin in einem der Labore des Tempels das Kunststück vollbracht, das Halluzinogen aus den Pflanzen zu isolieren. Der Feldversuch an einer Testperson, die mit den Nordmarern in Verbindung gebracht wird - der nach eigenen Angaben ehemalige Templerführer der Sumpfbruderschaft, Carras - jedoch endete in einem gewaltigen Aufruhr. Mit vom Leib gerissenen Kleidern stürmte Carras, der sich für die homosexuelle Bärin Mira hielt, durch die Straßen Al Shedims und fand sein Opfer schließlich in der Adeptin Aniron, die nieder geworfen, abgeschleckt und verschleppt wurde. Nach anschließenden Wesenswandeln zu Vogel und Drache hin griff Carras schließlich den Nomadenführer Maris mit allem, was er hatte, an, bevor er durch die von den Söldnern unter Xorag befreite Aniron mit einem Nudelholz niedergestreckt werden konnte. Seit diesem Abend werden zwei Frauen vermisst, der Verdächtige bestreitet jegliche Erinnerung an das Geschehene.

Viel Zündstoff also in diesen Tagen, der sich in Al Shedim anbahnt. Niemand weiß genau, wo das hinführen könnte, aber die Zeichen stehen ganz klar auf Konfrontation, und wenn die Wassermagier als Verursacher all dessen nicht bald vermittelnd einschreiten, könnte sich das zu einer ernsthaften Auseinandersetzung ausweiten.

(--Maris)





Die Führung(slosigkeit) der Nomaden
Wie die Flut vor 9 Monaten das Politkarussel kräftig zum Rotieren brachte

Ein dreiviertel Jahr ist nun bereits vergangen, seit die verheerende Flut durch Al Shedim fegte und einen Großteil der Einwohner vertrieb oder tötete. Eine lange Zeit, möchte man meinen, doch seitdem befinden sich vor allem die Nomaden in einer Identitätskrise, die sich in einem Fehlen der Machtspitze des obersten Nomaden äußert.

Der Jubel war groß gewesen, als Maris und Lobedan, Tempelwächter und Assassinenjäger des Wüstenvolkes, die Sippenführer in einem Disput davon überzeugten, dass ihr Weg der Bewältigung der Krise nach der Flut der Falsche war. Die beiden Männer samt ihrer Sippen gingen, die Entscheidung sollte sich als richtig erweisen. Dennoch wurden die Nomaden an jenem Tag in eine neuerliche Krise gestürzt, die vielleicht eine weitaus größere Gefahr für den Fortbestand der Wüstenkrieger haben könnte. Denn mit der Aufgabe seiner Machtposition gab Wutras quasi seine Rolle als oberster Nomade aus der Hand, schließlich obliegt es eben diesem Machtführer, die letztlichen Entscheidungen zu treffen. Kandidaten für eine Neubesetzung gibt es wenige - doch bevor wir Folgen und Auswege betrachten können, müssen wir uns zuerst darüber klar werden, welche Schlüsselrolle dem obersten Nomaden zuteil wird.

Das Wüstenvolk ist keineswegs eine streng hierarchisch gegliederte Gemeinschaft, besonders unter den Nomaden verschwimmen die Grenzen zwischen den verschiedenen Rangabstufungen, die mehr Auszeichnung als Machtstatus sind, schnell, und ebenso gibt es keine klare Weisungsgewalt zwischen den Sippen, die über ganz Varant verstreut sind. Dies ist logisch und notwendig, denn einerseits sind die Kommunikationswege zwischen manchen Gruppen kaum bis gar nicht existent, und zum anderen besitzt jede Sippe ihre eigene kulturelle Identität, die sie sich bewahren möchte, wenngleich alle unter der Maßgabe eines gemeinsamen Volkes geeint sind. Somit untersteht ein Sippenmitglied in erster Linie immer seinem Sippenführer, während der Rat der Nomaden eine eher schwächere, übergeordnete Rolle spielt. In diesem Dschungel aus Einzelindividuen, die alle ihr Mitspracherecht einfordern, bedarf es eines Führers, der Weisungs- und Entscheidungsgewalt im Falle von Uneinigkeit ausüben kann - eine Schlüsselposition zur Verknüpfung der Sippen untereinander, um tatsächlich ein gemeinsames Volk zu bilden. Fällt diese Position nun weg, versucht also jeder Sippenführer, in erster Linie seine Interessen durchzusetzen, was natürlich nicht gerade der Schlagkraft der Nomaden zuträglich ist. Und nicht nur das: wenn kein Grund besteht, den Kontakt zu Al Shedim mit seiner übergeordneten Führung zu halten, existiert die Gefahr, dass sich einzelne Sippen immer weiter entfremden und das gesamte Konstrukt nach und nach zerfällt. Eine Lösung muss also unbedingt her.

Diese Lösung liegt natürlich klar auf der Hand: ein neuer oberster Nomade muss eingesetzt werden, um den Zusammenhalt zu stärken. Dies jedoch klingt einfacher, als es zunächst scheinen mag. Der Grund hierfür liegt darin, dass nur ein Hüter der Wüste die Position des Obersten unter den Wüstenkindern einnehmen darf - derer gibt es derzeit allerdings nur drei. Wutras, der ehemalige Oberste, hat seine Position damals verwirkt, und es ist unwahrscheinlich, wenn nicht gar unmöglich, die alte Autorität wieder aufzubauen. Hurit, der Sippenführer der Männer, zu denen auch der Priester Vatras gehört, ist zu alt für diese Aufgabe und könnte den Anstrengungen, die damit verbunden sind, nicht mehr gewachsen sein. Bliebe noch Shakyor, der Löwe, der eine lebende Legende unter den Nomaden ist. Er jedoch ist ein Einzelgänger, der sich von jeglichen Sippen abgeschottet hat, um seinen Kampf allein mit seinem Tiergefährten an der Seite zu kämpfen. Keiner der aktuellen Hüter kommt also in Frage.

Naheliegend wäre nun natürlich der Weg, einen fähigen Mann in den Stand eines Hüters zu erheben, da sich der Bruch dieser Regel für die Nomaden verbietet, doch auch hier ergibt sich wieder ein Problem. Bis zum Tempelwächter aufzusteigen, ist nicht schwer, wenn man Stärke, Klugheit und Zuverlässigkeit beweist, doch ein Hüter zu werden, bedeutet, in einen winzigen Kreis elitärer Krieger - der wahren Söhne der Wüste - aufgenommen zu werden. Früher wurde diese Ehre nur denen zuteil, die von der Mutter Wüste selbst durch ein Zeichen erwählt wurden. Da dies jedoch über mehrere Jahrzehnte hinweg nicht vorgekommen war, wurden fähige Männer in der Art geprüft, dass sie alle Sippen Varants bereisen und dem jeweiligen Führer ihre Eignung durch eine Prüfung beweisen mussten. Dieser Prozess kann sich über Jahre hinziehen. Es gibt jedoch einen Nomaden, der die Prozedur bereits vielversprechend angegangen ist - und nicht nur das: er wurde von der Wüste erwählt.
Der angesprochene Mann ist der wohl heißeste Kandidat auf den Posten des obersten Nomaden, weil er neben diesen Voraussetzungen zusammen mit Lobedan und Onatas die Nomaden Al Shedims anführt. So hat Maris, der bisherige Rafik des Wüstenvolkes, bereits die ersten Prüfungen für die Sippenführer absolviert, Kontakte zu sehr selbständigen Sippen wieder aufgebaut und sogar die alte Tradition des Tiergefährten aufgenommen. Das Bemühen, Traditionen und aktuelle Bedürfnisse zu verbinden und Diskussionsmöglichkeiten zu schaffen, zeigt Wirkung, wenngleich längst nicht alle von diesem Emporkömmling überzeugt sind. So stieß er vor gut einem Jahr in das thematische Wespennest der Orks, als er einen Krieger des felligen Imperiums vor dem wütenden Mob schützen ließ, der inkognito am großen Turnier Al Shedims teilgenommen hatte und enttarnt worden war. Dass dies eine zeitweilige vollkommene Verachtung des wohl zukünftigen Nomadenführers zur Folge hatte, zeigt, wie kontrovers diese Stellenbesetzung diskutiert werden dürfte. Dennoch bleibt festzuhalten, dass ein polarisierender Anführer definitiv besser für das Wohl der Nomaden ist, als gar keiner. Bis Maris alle Prüfungen abgeschlossen hat und sich endgültig der Anführerfrage stellen muss, werden jedoch wohl noch Monate unruhigen Streits und großer Herausforderungen vergehen.

(--Maris)

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