DAS KASTELLDer Sand läuft im Strome durch das dünne Rohr aus Glas, welches zwei Welten miteinander verbindet. Die eine, die immer oben ist, immer geben wird, und die andere, die immer unten ist und immer zu nehmen gezwungen ist. Doch es kommt der Punkt, da die Uhr sich dreht…
Die Zwei und das EsEs waren einmal zwei Magier. Der eine, so er sich sah, war Priester und voller Kraft, Stärke und Weitblick. Sein Name, so klangvoll mit liebevollem Zungenschlag Narzuhl. Und der andere, so er es war, war Hohepriester mit funkelnd grünen Augen, von Größe und Epos beschienen und doch. In seinem Inneren war Sinistro seltsam kaputt.
Es begab sich, dass der Priester den Versuch unternahm, einen Dämon zu beschwören, wissend, dass er schwach und, ja, auch unfähig war. Er war ein Schüler, ein Aspirant, ein Taugenichts, ein Tagträumer, ein Williger, ein Strebender, sein eigenes Versuchskaninchen. Und so tat er, wie er sich erhofft, und hob die Hand zum Rufe in das Reiche Beliars, um einen Dämon zu beschwören. Stattdessen haftete sich ein imaginarius im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte an das Bein des Priesters. Sämtliche Versuche sich der Kreatur, wo sie doch beschworen war, zu entledigten, misslangen, und Narzuhl musste sich Hilfe suchen. Hilfe, die er nur bei einem fand.
Der Hohepriester hingegen lauschte der Stimme eines Dämons, die ihm von den schändlichen Taten seines Schülers berichtete. Und die Stimme kleidete sich in einer fröhlichen, zum Tanze anregenden Melodie, den Lehrmeister verwirrend, und suggestiv berührend, dort, wo das Wesen seines Selbst ein Heim gefunden hatte.
Mit wogendem Herzen trat Sinistro zu dem Schüler, doch mehr als sich gleichwohl die leidigen Sprüche der Kreatur anzuhören, vermochte auch er nicht zu unternehmen, war gar unwissend und verstört von der trippelnden Musik.
In eine Truhe wollten sie es sperren, doch es verwehrte sich. Greifen wollte sie es, doch es war zu schnell. Ihm befehlen, zu verschwinden, versagten sie auch. Überdies sie es gar noch beleidigten. Das Wesen. Das Es. Die Kreatur. Das namenslose Ding.
Es war ein mühsames Treiben im Kastell und nur der Versuch des Schülers, dem Wesen mit dem Angstzauber entgegen zu kommen, sollte von Erfolg gekrönt sein. Es glitt, beim zweiten Versuch, vom Bein des Priesters und kroch auf dem Boden, um dort von einem untoten, wirklich kontrolliertem Diener aufgelesen zu werden. Es war traurig und so ward auch der Hohepriester traurig. Belegt von dunkler Stimmung, erkannte er durch die Worte seines Schülers, was dieses Wesen konnte.
Ein imaginarius. Ein Dämon, welcher die Menschen in seine Welt zu fangen versucht, sie zu umgarnen und in die Schatten zu treiben, bis sie von ihm abhängig geworden sind.
Sie wussten, sie mussten schnell handeln. Und sie handelten, die Kreatur wieder in das Reich des finsteren Gottes zu bannen. Und doch. Bei einem abschließendem Mahl offenbarte der Hohepriester, dass die Kreatur nicht gänzlich von Schuld erfüllt war, suchte das Grünauge doch einen Mörder. Jenen Mörder, der in ihm einen Teil getötet hatte, einen Teil, der ihn davor bewahrt hatte, allzu leidvoll auf die Welt zu blicken, sich allzu sehr zu bedauern, allzu sehr den vergangenen Tagen nachzuhängen. Manch einer… mag diesen Teil die Jugend nennen. Doch ein Schelm, wer dies dem Hohepriester verrät.
Zwischen Ideal und WahnAuf den Stufen zur Macht verschwören sich so manch stille, strebsame Geister ihren Eitelkeiten und verfolgen den Plan, am Ende ihres Weges unantastbar und groß zu sein, jedwede Erscheinung als Nichtigkeit abgetan und der Welt ihre Blöße enthüllt, die härter als jede Illusion ist. Eine Illusion kann bröckeln, ein Mensch, der Stein geworden ist, niemals mehr.
Eine Hohepriester erhebt eine Frau aus tiefem Schlaf, schwört ihren Geist erneut dieser Welt zu und lässt sie in ihrem alten Körper auf den staubigen Pfaden der Sphäre Adanos wandeln. Der Hohepriester, das ist der Hüter Ardescion, die Frau, das ist die Magierin Jail. Sie ist gefangen, wie sie immer war, von sich selbst und im Kleid des nie vergänglichen Alters, gebrechlich und kriechend, den Geist vor der Welt versteckend. Sie verschwor sich dem Hüter, beschwor, ihm zu dienen und sank vor ihm zum Zeichen ihrer Demut auf die Knie. Sie sprach, um erneut zu leben, sprach, um erneut erhoben zu werden, sprach, um gelehrt zu werden.
Doch ehe die Nacht sich vollends senkte, widersprach sie jenem, den sie als Meister erkoren hatte, erneut. Dereinst war sie unbeugsam, nun ist sie es noch immer. Ihre Pfade vom Nebel verhüllt zwingen sie gänzlich dazu, sich aufzulehnen, zu propagieren, mehr zu sein, als sie ist und damit jede Lehre, die sie verlangte, in den Wind zu schlagen.
So verriet der Meister die Kreatur, die er beschwor, der er sein Blut opferte, damit sie lebte, und kündete ihr jedwede Gefolgschaft auf. Über Jahre hatte er ihren Geist zu erhöhen versucht und über Jahre war dieser darnieder gesunken, bis nichts mehr als das alte, schnaufende Rasseln ihres Atems blieb, mit der sie ihm vorwarf, nicht fähig zu sein, als Mensch zu tun, was nötig ist, vergessend, dass Ardescion längst kein Mensch mehr ist.
Mit brennendem Gesicht, entzündet von der eigenen Magie, taufte der Meister die Frau zu Dummheit und Sturheit und nahm ihr so jeden Schutz, den er ihr einst anerboten hatte.
Das Ideal, welches den Wahn jahrelang überstiegen hatte, brach in dem Augenblick, da der Zorn als menschliche Reaktion hervortrat, sich bemächtigte und Gewalt beschwor, der keine Heilung mehr folgte. Jail starb in den Augen des Hohepriesters, wenngleich er weiß, dass sie noch auf Erden wandelt.
Und der Verrat, der damit einherging, zerriss den Hüter und nahm ihm die Pflicht, die Kür, das längst verführte Amt. Der Schlüssel, der ihn als Hüter ausgezeichnet hatte, wurde von seiner Hand einem anderen gegeben. Und die Worte, die er sprach, wenngleich kalt, verrieten, dass er nie nur vom Hass zerfressen gewesen war, nie nur von Arroganz zersetzt, nie nur von Verachtung getrieben. Doch die leidenschaftliche Flamme eines höchsten Dieners, nicht nur seines Gottes, sondern auch der Menschen, die im Kastell wandelten, war in dem Feuer seiner Tat vergangen.
Ceron ist fortan der neue Hüter des Kastells. Ihm haftet kein Wahn an. Ihn erhöht das Ideal und die Kunst, die ihn leben lässt.
So drehte sich die Sanduhr, schafft Beginn, wo ein Ende stand, und lässt schmerzlich die Welt ins Bewusstsein rücken. Die Tage werden wieder dunkler und die Schatten des Kastells tiefer, doch das, was kaputt ist, scheint jeder Heilung fremd.
(--Ardescion)