08 Leserbriefe

LESERBRIEFE

Fragen über Fragen – Versuch einer Analyse des RPG

Als ich in der letzten Ausgabe des Boten die Prämieren-Feder von Ardescion, wie vom Hüter gewohnt geschliffen in Wort und scharf in Inhalt, lesen durfte, dachte ich mir zuerst: JA, der Mann hat recht, endlich spricht einer aus, was alle denken. Es war ein beschwingendes Gefühl, getragen von der Erkenntnis nicht alleine mit der Meinung dazustehen, machte ich mich sogleich daran ein Konzept zu erarbeiten, wie man die Gildenzugehörigkeit wieder stärken könnte, sich wieder auf alte Werte und Tugenden der Gildeninteraktionen zurückbesinnen könnte, und dieses in den Rat des KA einzubringen. Tugenden, die ich offen gestanden so auch nicht mehr mitbekommen habe, aber die eine gewisse Verlockung bieten.
Meine Geschichte beginnt beim Wüstenvolk, einer Gilde, die wie so viele im RPG anno Gothic 3, eher ein Zusammenschluss vieler Individuen, denn eine geschlossene Gemeinschaft darstellte. Nichtsdestotrotz war ich beflügelt, beflügelt aus den Computerspielen, allen voran dem ersten Teil, ein Wassermagier zu werden. Die Wassermagier waren Forscher und Archäologen. Ein Gedanke, der mich neben all den Kontakten, die ich hier schließen durfte, immer noch durch das RPG trägt, obgleich die kindliche Begeisterung - oder sollte ich Faszination sagen? – ein wenig nachgelassen hat.
Nun, dieses Konzept fand großen Anklang in den Reihen des Rates und als es dazu kommen sollte, es präsentabel zu machen und der Gilde aufs Auge zu drücken, hatte ich ein längeres Gespräch mit einem der anderen Ratsmitglieder, das in vielerlei Hinsicht Aufschluss gab und vermutlich noch mehr Fragen aufwarf.
Um meinen Entwurf in groben Zügen darzustellen und somit den Einstieg in meine Überlegungen zu erleichtern: Die Maßnahmen umfassten hauptsächlich die stärkere Abgrenzung von anderen Gilden und das Betonen bestimmter Eigenheiten unserer Zweige, manches davon war recht einschneidend; alles in allem wohl als restriktiv zu bezeichnen. Als wir uns über die Umsetzbarkeit unterhielten, die Probleme der Vereinbarkeit von Magiern und Kriegern in einer Gilde, fuhr ich argumentativ zunächst auf der Schiene, dass sich viele unserer Probleme durch die Betonung der Kirche ändern lassen könnten, dass dieser Schritt Einheit schaffen würde, indem wir die Kirche zur Propagandamaschinerie des Königreiches werden lassen, um so auch die Beteiligung der Wassermagier zu sichern. Er hielt diesen Schritt für nicht weitreichend genug und wollte Ethorn irgendwann die Kontrolle über die Kirche an sich reißen lassen, damit dieser sie vollkommen kontrollieren könne und dass das letztlich die erhoffte Wende bringen würde. Die Gemeinschaft. Eine geschlossene Gilde. Der Traum?
Dieses Gespräch ging noch länger, über zwei Stunden und mein Konzept rückte dabei immer mehr in den Hintergrund. Es endete damit, dass ich mich entschlossen habe diesen Brief zu schreiben, denn wenn eine Sache bei unserem Gedankenaustausch klar wurde, dann, dass wir eigentlich gar nicht wussten, was genau das Problem war. Oder waren es soviele, dass man gar nicht wusste, an welcher Baustelle man den Anfang machen sollte?
Das RPG ist eine Plattform, um sich auszudrücken, freie Zeit zu verbringen, Spaß zu haben, am Schreiben und an Geschichten. Die Bedeutung der Gilden ist zugunsten der Individualisierung der Charaktere in den Hintergrund gerückt. Die meisten Schreiber haben ihren Kreis aus Bekanntschaften mit dem sie posten. Ihre persönliche Geschichte posten. Eine Tatsache, die Anlass genug für Ardescion war dem Rabenvogel die Feder auszurupfen.
Aber hat er Recht damit? Ich bin nachdenklich geworden.
Im Grunde ist das RPG antiquiert, überholt, outdated. Wir kennen viele Wörter, um ein Fossil zu beschreiben und ein Spiel, das darauf beruht aus der Phantasie seiner Spieler genährt zu werden, ohne wahrnehmbare, stimulierende Reize oder Rückmeldung in Form von schneller und zielgerichteter Belohnung zu bieten, ist schwerlich anders zu bezeichnen. Ein Spieldesigner würde ob eines solchen Entwurfes wohl die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, ein Publisher den Titel zurückweisen. Neueinsteiger müssen sich mit einem Wust an Reglementarien und Bürokratie herumschlagen. Jeder normale Mensch lässt nach kurzer Zeit die Finger von diesen Spielen. Also ist es auch nicht zugänglich? Ein Blick auf die Anmeldezahlen, die Gildenbeitritte, Aktivität von (neuen) Mitgliedern und den Anteil von ZAs bei den Neuanmeldungen verleitet einen dieser Annahme zuzustimmen.
Grafik grottig, kein Sound und das Regelwirk ist so dick, dass einem von Anschauen schwindlig wird. Was hält die Leute also noch hier, allein der Mythos einer 10 Jahre alten Spieleserie, die mit dem jüngsten Teil quasi zu Grabe getragen wurde? Vermutlich nicht.
Übrig bleibt die Story, also Geschichten, die Interaktionen miteinander, sie scheinen den Reiz auszumachen und nun fordert Ardescion, dass die individuellen Geschichten zum Wohle von Gilden(inter)aktionen zurückstehen sollten. Kontrolle und Strenge, mehr Wut für das Wohl der Gilden. Aber ist das wirklich das Allheilmittel? Die Beschneidung der Freiheit, um der Dramaturgie willen? Oder schaffen wir damit auf Dauer eine Barriere, die diejenigen vertreibt, die hier nach Entfaltung suchen zur Freude einiger weniger, die nach einiger Zeit feststellen müssen, dass die Verbliebenen die neuen Gildenaktionen nicht ausreichend mit Stoff füttern können und letztlich das RPG nach und nach implodiert?
Fragen die ich mir stelle, als Ratler, als Schreiber. Welchen Weg einschlagen? Was nützt dem RPG, der Gilde, dem Spielspaß?
Letztlich komme ich dahin, dass ich nicht weiß, was richtig ist. Die Demographie des RPG alarmiert, wir brauchen dringend Nachwuchs, der sich dann aber vornehmlich in eigenen Geschichten verwirklicht. Die Alten schreien auf, wir brauchen mehr Gildenbindung und weniger Eigenbrötler, das helfe dem RPG, der Gildeninteraktion. Ich stehe irgendwo dazwischen. Nicht lange genug dabei, um mich zu den Veteranen zählen zu können und ein paar Jahre länger dabei als die Neuen. Wem soll man es recht machen? Für wen ist denn das RPG eigentlich?
Zurück bleibt ein Ratler, ratlos, der aus Mangel an Wut sein Konzept vorerst auf Eis gelegt hat und gleich mit seinem Schüler Faraday eine Magieausbildung beginnt, ein paar Pläne für künftige Gildenaktionen im Hinterkopf. Es geht ja doch immer weiter … oder?

(--Ptah)


Anm. der Redaktion: Der Brief ist vollständig und ungekürzt vom Autoren übernommen worden. So wie sich das gehört. Unser Dank geht an Ptah für seine Gedanken und Einschätzungen zum Thema und der Formulierung derselben.