02 Königreich Argaan



Bewegungen


Die Stadt bewegt sich! In ganz Setarrif herrscht emsiges Treiben. Seit Tagen hört man das Hämmern aus den Schmieden, wieder und wieder, fast ohne Unterbrechung. Waffen werden gefertigt, geschärft oder ausgebessert. Die Menschen strömen zum Markt und decken sich mit Vorräten ein. Trockenfleisch und Dörrfisch steht hoch im Kurs, ebenso das feste dunkle Brot, das erst nach mehreren Tagen faulig wird. Viele füllen ihre Ölflaschen auf, die sie zur Pflege der Schwerter brauchen. Die Klingen der Akademie lauschen den letzten Anweisungen ihrer Meister und selbst die arbeitsscheuen Söldner trainieren ein letztes Mal verschiedene Angriffe und versorgen ihre Waffen.
Ruhiger geht es in den Quartieren der Magier zu. Einige stöbern noch in geheimnisvollen Büchern andere meditieren und beten zu Adanos. Die Alchemisten mischen sorgfältig die verschiedensten Substanzen und füllen die kostbaren Tränke in kunstvoll geschliffene Phiolen. Die Heiler packen Verbände, kraftvolle Kräuter und Heilpflanzen zusammen und überprüfen die Vorräte an frischem Wasser. Einige mischen noch wohltuende Salben und Tinkturen, andere suchen ihre Behandlungsapparate zusammen. Die Novizen tuscheln aufgeregt und erfüllen eilig die Aufträge ihrer Meister.
Dann sammeln sich alle auf dem Königsplatz. Das Gepäck wird untergebracht, der Zug formiert sich. Endlich, zu nächtlicher Stunde, setzt sich der Tross in Bewegung. Nur wenige halblaute Gespräche werden geführt, ansonsten herrscht Ruhe in der Stadt. Nur die vielen schweren Schritte der Wanderer hallen durch die Gassen. An manchen Türen und Fenstern sieht man die zurückbleibenden Familien. Hier und da ein schüchternes Winken, ein stiller Gruß, eine einsame Träne und viele flehende Gebete zum Gott des Gleichgewichtes, dass er die Angehörigen sicher zurück in die Stadt bringen möge. Kein Lachen ist zu hören, tiefer ernst liegt über der sonst so fröhlich Stadt. Die Blicke wandern zum südlichen Stadttor.

Rund einen Monat ist es schon her, dass ein kleinerer Trupp in dunkelster Nacht zu einer ähnlichen Reise aufbrach. Eine Reise nach Westen, über das stolze Weißaugengebirge hin zur Burg am Silbersee. Dieser so wichtigen Burg, die man an die Invasoren Rhobars verloren hatte. Lange hatte man nichts mehr von dieser Gruppe gehört, doch vor wenigen Tagen tauchten einige wieder in der Stadt auf. Sie hatten es zur Burg geschafft, ja sogar in die Burg. Getarnt als einfache Handwerker und treue Bürger des Reiches hatten die Spione Einlass in die Burg erlangt, hatten beobachtet und Informationen aus der Burg herausgetragen. Und nun sollte die Burg zurückgewonnen werden - für Ethorn und die Freiheit auf Argaan. Schwach soll sie derzeit besetzt sein, die Burg. So hieß es zumindest. Einen günstigeren Moment würde es so schnell nicht geben!

Die Stadt bewegt sich! Der stille Tross verlässt schweigend die Stadt und wendet sich dem Gebirge zu. Söldner und Klingen mit blitzenden Waffen und wagemütigen Blicken. Schwerter und Akademiewächter, ruhig und entschlossen, Heiler und Magier, still ins Gebet versunken, dazu Hofmagier mit blitzenden Rüstungen und festem Blick, bereit die Schlacht zu lenken. Dazwischen Novizen und einfache Helfer, all die Freiwilligen, die für die Versorgung der Kämpfenden und Verletzten sorgen sollen. Unerfahren und mit unruhigem Blick tuscheln sie leise und werfen ehrfürchtige Blicke auf die Anführer. Ob sie wissen, worauf sie sich da eingelassen haben?

Der Tross bewegt sich! Begleitet von einem weißen Wolf, Schritt für Schritt in Richtung der Burg. Ungewissheit begleitet sie, gepaart mit der Hoffnung auf einen guten Ausgang der Unternehmung. Schritt für Schritt weiter, ungeachtet der Strapazen des Gebirges, des Dschungels und des bevorstehenden Kampfes. Schritt für Schritt weiter für Ethorn - für Argaan - für die Freiheit.

(-- Adson Muller)