Umbruch in Al ShedimFührungswechsel und die Folgen magischer Experimente
Überall wandelt sich das Bild des Festlandes, seit vor einem viertel Jahr der gewaltige Zorn Adanos‘ die Lebewesen aller Regionen im Norden wie Süden heimgesucht hat. Nirgendwo jedoch dürfte sich das Bild einer Umgebung in den letzten Wochen so geändert haben, wie am südlichsten Ende der Landmassen, wo die erbarmungslose Hitze die Menschen an ihre Grenzen treibt. Tief in der Wüste, in der Heimat der Nomaden und Wassermagier – Al Shedim.
Es war ein seltsamer Morgen, an dem die Bewohner Al Shedims erwachten und bereits der Geruch der Luft bezeugte, dass sich etwas verändert hatte. Erst wenige Wochen waren vergangen, seit ein hitziger Umsturz der Führungsriege der Nomaden den Menschen neue Hoffnung gegeben hatte – Hoffnung, zu überleben. Das Leid nach der verheerenden Flutwelle, die beinahe die gesamte Stadt zerstört hatte, war unvorstellbar gewesen – unzählige Brüder und Schwestern hatten den Tod in den Wassermassen gefunden, die Überlebenden fochten den Kampf gegen Krankheiten und den Hunger um das nackte Überleben aus, und niemand aus der Reihe der Obersten reagierte. Monate am Rande der Existenz waren vergangen, bis sich schließlich die beiden hochrangigen Nomaden Lobedan und Maris dazu aufgeschwungen hatten, den obersten Nomaden Wutras sowie die Sippenführer Onatas und Pakwan zu einem Abtritt zu bewegen. In einer flammenden Streitrede über die Sinnhaftigkeit ihres Handelns gelang es den beiden jungen Nomaden schließlich, Wutras und Pakwan zu einem Abtritt als Führer Al Shedims zu bewegen, welche die Stadt daraufhin mit ihren Sippen sofort verließen, und ihre Plätze einzunehmen. Onatas jedoch schloss sich den neuen nomadischen Führern der Siedlung an, die fortan nicht mehr den Kurs der natürlichen Auslese und Schrumpfung durch unterlassene Hilfe, sondern den Weg der aktiven Unterstützung aller Überlebenden wählten.
„Ich öffnete die Augen und starrte auf eine überwucherte Zeltplane!“, erzählt Jubair, der nach eigenen Angaben noch nie in seinem Leben so viele Pflanzen auf einmal gesehen hat. Doch es sollte noch besser kommen. Nicht nur, dass der gesamte Zeltplatz der Nomaden in das saftige Grün unzähliger Moose und anderer Pflanzen getaucht war, die direkt aus den hölzernen Grundgerüsten der mobilen Wüstenbehausungen entsprungen zu sein schienen, die gesamte Oase, die seit der Flut kaum noch den Namen verdient hatte, nachdem sämtliches Leben dort schlichtweg fort gespült worden war, hatte sich in einen urtümlichen Wald verwandelt, dessen Ausläufer sich bis tief in die Ruinen hinein zogen. Erst auf den zweiten Blick registrierten die ungläubigen Wüstenkinder, deren Heimat sich schlagartig vollkommen verändert hatte, dass ihre Wurzeln schlagenden Speere nur ein kleiner Preis waren für den Segen des Lebens, der ihnen nun gegeben worden war: Nahrung.
Was aber war geschehen? Unbestätigten Quellen zu Folge handelte es sich bei der plötzlichen extraordinären Ausbreitung pflanzlichen Lebens um die Folgen eines gemeinsamen magischen Experimentes der Wassermagier und der Druiden Myrtanas, welche voller Verzweiflung um die ungesicherte Nahrungssituation in der Ruinenstadt um Hilfe gebeten worden waren, wobei die Magien der Erde, des Wassers und des Lebens in einer derartig potenten Weise in Wechselwirkung traten, dass der dabei entstehende „Regen des Lebens“, wie er von den hiesigen Bewohnern genannt wird, nicht nur die Oase zu neuem Leben erweckte, sondern seit Jahrhunderten in den Tiefen des Sandes schlummernde Keime in der gesamten Umgebung reaktivierte, auf dass ein einzigartiger kleiner Dschungel entstand, dessen Inneres Gewächse birgt, die kein Mensch unserer Zeit bisher erblickt hat.
Doch auch wenn die schlagartig kommenden neuen Wendungen wie der Führungswechsel, die verstärkten Bemühungen des Wiederaufbaus und die nun endlich gesicherte Nahrungsversorgung den Menschen Hoffnung geben, bringt ein Ereignis wie der magische Wuchs auch Gefahren und Rückschläge mit sich: niemand weiß, welche Gifte die Pflanzen des Urwaldes in sich tragen oder welche Tiere sich bereits im Dickicht niedergelassen haben. Außerdem hatte der magische Regen jegliche Holzwerkstoffe Wurzeln schlagen und Sprösslinge bilden lassen, sodass nicht nur entsprechende Waffen unbrauchbar geworden waren, sondern auch der Wiederaufbau des Schiffsstegs, der von den Fluten zerstört worden war, stark beeinträchtigt wurde.
„Plötzlich begannen die Bretter, zu leben und zu wachsen“, erzählt uns Harlor, ein neu hinzu gezogener Helfer beim Bau, und auch der aus dem Norden gekommene Bauleiter Tavik bestätigt: „Das hat unsere Arbeit arg zurück geworfen. Aber zum Glück war der Wiederaufbau zu diesem Zeitpunkt noch in den Anfängen.“
Auch aus den Heilerstuben im Tempel werden gegensätzliche Meinungen laut. Manche warnen vor den Gefahren der unkontrollierten Vegetation, andere, wie der Priester Tinquilius, sehen die Möglichkeiten, die solch eine Fundgrube bietet. „Da kommen Erinnerungen an Jharkendar wieder hoch“, gibt er lächelnd zu.
Die Erkundung des bewucherten Gebietes steckt noch in den Kinderschuhen, doch werden die stadtnahen Ausläufer bereits von Ruinenwächtern gesichert und jeder Neugierige, der den Dschungel betreten will, eingehend auf die Gefahren hingewiesen, da bereits ein gewaltiges Raubtier im Dickicht gesichtet worden sein soll.
„Das ist richtig“, bestätigt der frisch gebackene Nomadenführer Maris. „Allerdings kennen die Leute hier das Tier schon, da es sich um meinen Gefährten Marik handelt. Und der begnügt sich eher damit, Lurkern den Kopf abzubeißen, als Menschen zu fressen. Ist eben ein braver Junge.“
-- Maris