06 Krähenfeder

Solang die Fahne weht…
- Einem Rat mehr Wut zum RPG

Die Alten wirken knöchern und engstirnig und sind dabei doch nur auf der Suche nach denen, die ihnen widersprechen. Wenn niemand kämpft, behalten sie ihren Willen, ihre Meinung. Sie haben sich dieses Recht erkämpft und kampflos geben sie es nicht wieder auf. Das macht das Alter aus. Es ist aus der Wut entstanden und zehrt von den alten Tagen und dem Stolz, den sie verspürten, als ihr Kampf zum Erfolg geworden war. Sie haben ihr Sitzfleisch aus den Leichen jener gebildet, die sie von der Spitze vertrieben haben. Generation Aufbau. Wie Trümmerfrauen nach dem zweiten Weltkrieg ein Land aus den Ruinen neu erschufen und ihren Willen formten, nach all den männlichen Schlachten, sich auf gutbürgerliches Spießertum zu besinnen. Wie die 68er, die sich gegen die aus dem Krieg gespeiste Kontrolle und Strenge erhoben, nicht länger bereit, im Schweigen zu wandeln und für Freiheit und mehr Gerechtigkeit stritten. So auch die Alten des RPGs. Der Krieg ist vergangen, lange schon. Das RPG ist aufgebaut. Die 68er fehlen. Denn der Unterschied: Es gibt keine Kontrolle und Strenge. Es gibt bloß den Willen zum Gutbürgertum. Und der scheint für die Jugend akzeptabel. Er schränkt nicht ein. Im Gegenteil, er befreit. Und mit der Freiheit droht der Identitätsverlust der Gilden. Man hat sich auf das Funktionieren reduziert. Es herrschen große Ideologien, die für niemanden verpflichtend sind. Es herrschen Bilder vom Wollen und Sollen, doch es mangelt an dem Willen, sie Realität werden zu lassen. Das RPG braucht keinen klugen Rat, von diesem ist genug im Angebot. Das RPG braucht die Wut, auf den Pfad des klugen Rates gezwungen zu werden.

Was macht die Freiheit der erfundenen Charaktere aus? Gemeinsames Erleben detailverliebter Geschichten, weit ab von den Gilden dieser Zeit. Wer ins RPG kommt, tut dies nicht, weil er konform mit Vorstellungen und Bilder gehen will. Er tut dies, weil es ihm die Möglichkeit bietet, zu interagieren, auf seine Art. Dadurch jedoch verlieren die Gilden an Boden. Wenn niemand mehr ihnen folgen will, werden sie nutzlos. Die Gothicreihe hat gezeigt, wohin die Abwesenheit des Fraktionszwangs geführt hat. Ein nutzlos in der Welt umherstreifender Held, der sich in Sagen und Mythen verliert, gar die Welt rettet, ohne, dass es am Ende überhaupt jemand bemerkt hätte. Heute rettet im RPG jeder die Welt, alle zwei Schritte ein anderer. Muss die Welt wirklich gerettet werden? Und wenn man schon die Welt retten will, warum beginnt man nicht damit, die Gilden zu retten?

Ja, man hat es sich auf die Fahne geschrieben, was man ist, was man sein will, was man sein soll. Man hat sie gehisst, auf dass sie jedem Mitglied Symbol und Führung ist. Doch es liegt in der Natur einer Fahne, dass sie nur gesehen wird, wenn sie weht. Es fehlen der Wind und so das Wehen der Fahnen. Herabhängend am Mast, der sie bindet, sind sie natürlicherweise kraftlos. Und wenn der Klang des im Wind peitschenden Stoffes fehlt, ist niemand bereit den Blick zu heben. Ohne Wut wandelt es sich eben leichter. Modell Eigenbrötler. Jeder ist sich selbst der Nächste. Früherer Eskapismus, wenigstens im RPG Gemeinschaft und Bindung zu erfahren, hat sich zur Fortsetzung jugendlichen Lebensstils gewandelt. Im Internet genauso alleine wie abseits davon. Sehnsucht wurde zu Beschäftigungstherapie, gespeist aus Langeweile. Man sucht nicht länger Befriedung der Sehnsucht, sondern Ablenkung durch bloß marginal geänderte Eigenarten. Letzteres braucht bloß Akzeptanz des Bestehenden. Ersteres hingegen die Wut zur Veränderung. Doch Wut widerspricht der vorausgehenden Langeweile. Man will nicht wütend sein, man will befriedet werden. Ruhiger Puls als Droge einer egalisierten Generation, in der noch echte Wut gleichbedeutend mit Arroganz und der Unumstößlichkeit des eigenen Willens gleichgesetzt wird. So vergrault sich die Jugend die letzten verbliebenen Vorbilder und unterfüttert das einfache Funktionieren. Es ist eben bloß ein diffiziler Unterschied zwischen Engstirnigkeit und Wut, wenn man aufs Alter reduziert.

Glück auf, junge Welt, ruhe genehm im kurzsichtig geschaffenem Grab!

(--Ardescion)