"Also gibt es niemanden, der es hätte tun können?" fragte ich weiter. Es kam mir langsam vor wie eine Fragestunde. Dem Kerl musste ich ja wirklich alles aus der Nase ziehen! "Nun, auch der beliebteste Herrscher kann es nicht jedem recht machen." begann er. Ich verstand, dass er nichts schlechtes über seinen Herren reden wollte - ein sehr loyaler Mann, oder aber ein sehr vorsichtiger. "Vielleicht der Aros, Primus der Händlerzunft. Mein Herr musste jüngst die Zölle erhöhen, um die Staatskassen gefüllt zu halten. Vielleicht war es auch ein Jungenstreich. Oder irgend ein Neider... es gibt so viele!" Der Mann vergrub sein Gesicht in seinen Händen, ich versuchte, mich von seiner jämmerlichen Erscheinung nicht ablenken zu lassen. "Sonst niemand?" hakte ich nach. "Wo finde ich diesen Händlerknilch?" Kurz blickte mein Gegenüber auf. "Westlich von hier, in seiner kleinen Villa. Sagt ihm, dass euch Caron schickt. Dann wird er wissen, dass ihr in königlicher Mission unterwegs seid."
In königlicher Mission also. Ich wusste nicht, ob mir das gefallen sollte, aber ich musste mich wohl damit abfinden. Ich verließ unseren nervösen Freund also und wandte mich nach Westen, wo die Villa stehen sollte, die Caron erwähnte. Tatsächlich fand ich sie bald. Das Wort 'Villa' war eine Übertreibung. Es war ein großes, luxoriöses Haus, doch keine Villa. Eher die Wohnung eines Mannes, der sich gutbürgerlich und betucht zeigen wollte, der Wert auf Prunk legte, doch nicht angeben wollte. Zwei Wachmänner mit Speeren standen vor seinem Haus. So einfach würde ich wohl nicht hereinkommen. Dennoch ging ich näher, zwang mich dazu, keinerlei Unsicherheit zu zeigen. Auch als ich fast vor den Beiden stand und ihre Speere sich klackend kreuzten schreckte ich nicht zurück. "Euer Begehr?" fragte einer der Wachmänner mit breitem Kinn und noch breiterem Mund. "Ich möchte mit eurem Herren sprechen!" antwortete ich und fügte mit Nachdruck hinzu "Ich komme von Caron!"
Das Krötenmaul wechselte einen Blick mit seinem Kollegen und nickte. "Willkommen!" sagte er, als die Speere den Weg freigaben. Ich trat in einen schmalen Vorraum. An beiden Seiten standen auf kleinen Säulen und Sockeln dunklen Büsten. Ich besah sie mir aus der Nähe. Sie waren überaus kunstvoll gefertigt, beinahe lebensecht, und darunter stand auf einer kleinen Tafel, um wen es sich handelt. Wie es sich herausstellte, war es lediglich die große Familie des Händlerfürsten. Enttäuscht wandte ich mich ab und ging weiter, bis ich ein großes, rechteckiges Atrium erreichte. Es war von dutzenden Säulen gesäumt und so lichtdurchflutet, dass man meinte, das Dach fehle. Der weiße Marmor tat sein übriges, um jedem klarzumachen, dass es trotz seiner durchschnittlichen Größe kein normales Haus war. Inmitten des Raumes, auf einem bequemen, geflochteten Stuhl saß ein Mann durchschnittlicher Statur. Scheinbar alles an ihm war durchschnittlich. Die Frisur, das Gesicht, sein Aussehen. Er blickte von einigen Zetteln auf, die er eingehend studierte. Als er die Stimme erhob erkannte ich sein Merkmal: Dunkel, wie eine Raspel drang sie an sein Ohr. "Hallo?" sagte er, scheinbar fragend, ehe er in aller Ruhe seine Zettel hinlegte und aufstand. "Was kann ich für Sie tun?"
Er schien eine sehr direkte Person zu sein, und so versuchte ich es meinerseits ebenfalls mit Direktheit und Ehrlichkeit. "Ich komme im Auftrag von Caron. Wisst ihr, worum es geht?"
Der Händler legte die Stirn in Falten, er schien ernsthaft nachzudenken. "Nein, tut mir leid. Was ist es, ich kann euch alles besorgen!" Er breitete die Hände einladend aus und lächelte. Kein Zorn über den König schien ihn zu erfüllen.
"Nichts dergleichen" antwortete ich und schüttelte den Kopf. "Meine Fragen betreffen eher... Schuhe."
Aros sah mich fragend an. "Sollte Caron da nicht eher zu einem Schuster gehen?" antwortete skeptisch. Wenn er es war, dann war er ein guter Schauspieler, nicht einen Moment zuckte er oder verriet sich auf sonst eine Weise.
"Es geht um bes..." begann ich, wurde jedoch jäh unterbrochen, als ein Junge durch die Tür lief und schrie: "Meister, Meister!" Der Primus der Händlerzunft drehte sich zum Jungen - und gab ihm eine schallende Ohrfeige. "Wann lernst du es endlich - nicht vor den Kunden!" An mich gewandt sagte er: "Ihr müsst meinen jungen Freund hier entschuldigen. Er hat leider nicht nur das Aussehen einer Kuh, sondern auch ihr Taktgefühl. Ihr entschuldigt mich kurz?" Ich nickte verstehend und wurde allein im Atrium stehengelassen. Es dauerte jedoch nicht lange, da kehrte Aros zurück, ein wenig bleicher als zuvor, ein wenig nervöser. "Ich bitte um Verzeihung." sagte er, packte meine Schulter und dirigierte mich langsam in Richtung Tür. "Wie es scheint wurde Leoras, ein Berater des Königs tot aufgefunden".