Der Segen des HerrnMitschrift der Freitagspredigt von Meister Isgaroth in der Kapelle zu Thorniara:
"Liebe Gemeinde, wir alle haben viel durchgemacht in den letzten Wochen. Viele von uns haben Angehörige verloren, manche haben schreckliche Dinge mit ansehen müssen. Der schwarze Tod streckte seine Finger nach uns aus, Beliars Pesthauch stellte uns vor eine schwere Prüfung. Das Schicksal traf uns hart. Doch hier stehen wir - lebendig, geläutert.
Viele litten, viele starben, doch viele kämpften auch. Ein mutiger Kerkermeister schloss sich und seine Gefangenen ein, weil die Seuche innerhalb der Kerkermauern grassierte. Und nicht nur das: es heißt, er habe es auf sich genommen, allein mit zwei düsteren Gefangenen fertig zu werden, die - so heißt es - von den mutigen Streitern des Herrn in den dunklen Tiefen dieser Insel aufgegriffen wurden und stärker sein sollen als gewöhnliche Menschen.
Furchtlose Rattenfänger machten sich auf, um der Plage der Überträger dieser Krankheit Herr zu werden - ja selbst einen Rattenkönig hatte man gefunden, so schlimm stand es um die Rattenplage!
Auch Gold schützte nicht vor dem Schrecken der Pest. So starben auch ehrbare Kaufmänner wie der wohlhabende Händler Perdor Ventris, denn vor dem Tod sind alle Menschen gleich.
Genauso, und vor allen anderen, traf es aber natürlich auch die Ärmsten unter uns. Nirgendwo hatte es die Menschen so hart getroffen wie im Armenviertel, und wir alle Trauern auch um die zahllosen Toten, die dort ihr Ende fanden.
Doch auch Gäste unserer Stadt blieben nicht verschont. So erzählte mir ein Mann von einem Bauern, den er traf. Seine Frau hatte nur einige Waren verkaufen wollen, doch sie kehrte nie zurück. Er fand sie tot inmitten des Hafenviertels. All dieser Schrecken und noch so viele weitere schwere Schicksale sind da draußen geschehen und lasten schwer auf unserem Herzen.
Doch werte Anwesende, ihr seid hier, weil ihr den Glauben nicht verloren habt. Innos' Wege sind für den menschlichen Geist manchmal unergründlich. Wir denken in Tagen, Monaten, vielleicht Jahren. Er jedoch sieht weiter in die Zukunft. Wir mögen uns geschlagen gefühlt haben ob der Ohnmacht, mit der wir der Pestilenz ins grässliche Auge sahen, und so mancher fiel vom Glauben ab. Doch wir dürfen nicht vergessen: alles, was geschieht, hat einen Sinn.
So musste in unserer bittersten Stunde, als Tod und Verzweiflung in den abgesperrten Gebieten am Hafen und im Armenviertel die Seelen der guten Menschen dieser Stadt marterten, ein Mädchen von zwölf Wintern, das sein Leben an einem scheinbar gottlosen Ort - einem Hurenhaus - gefristet hatte, seine Mutter verlieren, um von den treuen und glaubensstarken Mitgliedern unserer Gemeinschaft entdeckt zu werden. Entdeckt, sage ich, denn dieses Kind trug die Gabe in sich, dem schwarzen Tod durch das Licht unseres Herrn in ihrem Herzen zu widerstehen.
Mit vereinter Kraft war es den frommen Männern, welche ihr eigenes Leben riskierten, gelungen, das Mädchen aus der Quarantäne fortzuschaffen. Nur unter Zusammenarbeit der rechtschaffenen Ordnungshüter Thorniaras und der Glaubensmänner und -frauen unseres Ordens, angeführt von der obersten Feuermagierin selbst, konnte dieser Gral zum Tempelviertel gebracht und das Geheimnis ihres Blutes untersucht werden.
Es scheint ein Wunder zu sein, dass das Blut eines unschuldigen Kindes dem Tod die Stirn bieten kann, doch so ist es. Wir alle, durch das Heilmittel geschützt oder errettet, tragen nun einen winzigen Teil dieses Segens in uns. Der Blut der Johanna, nunmehr als Adlata des Feuers trotz ihres geringen Alters in die Reihen des Ordens aufgenommen, war das Zeichen des Herrn, für das so viele gebetet, auf das so viele von uns gewartet und gehofft haben.
Was lernen wir aus dem, was geschah?
Niemand weiß, was das Schicksal für den Einzelnen bereithält. Auch die frommste Seele kann aus dem Diesseits gerissen werden. Doch wir können daran glauben, dass alles seinen Zweck hat. Der Tod eines lieben Menschen kann eine schwere Prüfung sein, doch er kann die Geburt einer wichtigen Wende bedeuten, nicht nur für einen, sondern für viele. Wir haben gelernt, Mitleid zu empfinden auch mit denen, deren Namen nie wieder ausgesprochen werden, weil niemand sich an sie erinnert, und zusammenzuhalten, auch in schwerer Zeit. Wir haben gelernt, den Glauben nie aufzugeben. Wir haben auch gelernt, dass das Licht Innos' auch auf die unwahrscheinlichsten Orte fällt und dass in der unwahrscheinlichsten Person der Schlüssel zu etwas Großem stecken kann.
Doch wir wissen auch, dass wir mit der Hilfe unseres Gottes selbst die schwersten Prüfungen nicht nur bestehen, sondern sie endgültig bezwingen können. Wir wissen, dass es lebende Heilige gibt, von Innos zu Schutzpatronen gegen bestimmte Gegner auserkoren. Und wir wissen, dass wir selbst dann, wenn wir ins tiefste Dunkel schauen, immer noch das göttliche Licht in unserem Herzen tragen.
Es wird viel Arbeit kosten, bis alles so sein wird wie früher. Wir sind in vieler Hinsicht auf uns selbst gestellt, doch wir sind nicht allein, denn wir haben uns. Und wenn wir Hand in Hand voran gehen und wieder aufbauen, was zerbrach - auch in unseren Herzen - so werden wir mit ein wenig Zeit nicht nur zu alter Stärke zurückfinden, sondern gestählt aus dem hervorgehen, was uns allen widerfahren ist.
Denn so ist es der Wille Innos' unseres Herrn und wir werden sein Licht verbreiten, bis die Flamme in uns erlischt."
(-- Vicktar)