DAS KASTELLEine Lücke im KontraktAuf den Stufen dieser Welt wandeln die Toten gleichsam wie die Lebenden. Die einen sind Geister, entbehren jedweder stofflichen Manifestation und beneiden jene, die das, wonach es ihnen verlangt, greifen können. Und die anderen sind Menschen, geplagt von der Sehnsucht, mächtiger und weiser, aber vor allem glücklicher und höher zu sein, als je ein Mensch zuvor gewesen war. Jene, die Beliar folgen, sehnt es nach dem Tod, wie jene, die Innos folgen, dass Feuer als Lebensbringend anpreisen. Irren sie beide, wenn man sieht, dass es einen Weg ohne ihre Einsichten gibt?
Auf den Stufen dieser Welt wandelt die Gier. Einst erhoben sich die Götter über das, was wir die Welt nennen, und erschufen das, was um uns herum seitdem von Bestand, Verfall, Geburt und Tod geprägt ist. Die Götter gaben die Magie. Die Götter suchten sich Diener. Die Götter erwählten den Menschen, den ihnen inhärenten Konflikt stellvertretend fortzusetzen. Die Götter hielten sich für weise.
Auf den Stufen dieser Welt wandelt der Mensch. Er ist Gier. Er ist Leben. Er ist Tod. Er vereint, was die Götter sind, doch er ist der Fehler, den sie begangen haben. Der Riss, der sich auftut, ist von ihm beschworen.
Und so begab sich im Kastell der Schwarzmagier, dass der Priester Narzuhl nach Macht strebend dem Magielehrmeister Ardescion entgegen trat. Er wollte wissen, wie jener Dämon zu bändigen ist, der einst seinen Geist beherrschte und einen großen Teil seines Gedächtnisses bei seiner Extraktion mitgenommen hat. Er wollte lernen, ihn zu beherrschen, und lernte doch, die Möglichkeit, die Welt im Ganzen zu zerreißen.
In der Kugel des Hauches, jener Ort, an dem die Sphären ein einmaliges Konstrukt des Schutzes erschaffen haben, wagte sich Narzuhl an den Weltenriss. Der mächtigste aller Zauber der schwarzen Magie, welcher den Menschen selbst zu einem Gott erhebt und die Grenzen der Sphären ins Wanken geraten lässt. Der Priester gab sich seiner Gier hin, seinem Zorn, seinen finstersten Emotionen, erhaben über die Welt zu regieren und ihre Vernichtung, die Vernichtung sämtlichen Lebens, sämtlicher Existenz zu verantworten.
Das, was sich auftat, so grausam und finster es war, war nur ein kläglicher Versuch auf den Weg, die Herrschaft in der Endzeit zu erlangen. Dann, wenn die Welt sich dem Willen der Schwarzmagier zu beugen hat, wird dieser Zauber der Richterspruch wider allen Lebens sein. Und Narzuhl, der geblendet von der Rache an seinem Vater war, wird einer der Apostel der Apokalypse sein. Sein Thron wird hoch stehen und am Ende wird er doch alles verlieren.
Als der Zauber durch einen vom Lehrmeister beherrschten Imaginarius, der dem Priester Zweifel einflößte, zu verblassen begann und Narzuhl in die Knie und zurück in seine Existenz als Mensch zwang, keimten die alten Fragen aus. Welchen Sinn hat es, in dieser Sphäre zu wandeln, wenn man sich vernichten könnte, doch die eigene Macht niemals ausreichend ist, dies zu leisten? Welchen Sinn hat eine Existenz, die nach Größe strebt und unterbewusst dem Wissen verfallen ist, zum Scheitern verdammt zu sein?
Auf den Stufen dieser Welt wandelt der Fragende und klammert sich an die Illusion jener Antwort, die sein Leben erhält. Die Götter erschufen mit dem Menschen ihre eigene Vernichtung. Der Kontrakt scheitert am Menschen, der am Ende kein Stellvertreter zu sein vermag.
Amboss auf den Tisch, Gabel in die HöhUnd als der Priester abgeschlossen hat mit seinem Streben nach Macht, begann er erneut nach Macht zu streben. Nach einer anderen, doch nicht weniger gefährlichen Macht. Jener, die es ihm erlaubt, die Kontrolle über die Wesen der Dunkelheit zu erlangen. Sein Lehrmeister nun, Sinistro, ist noch immer ein von Zweifeln getriebener Mensch, der glaubt, sich selbst verloren zu haben und den Weg nicht findet, auf dem er sich selbst ergründen kann. Er erhob sich über die Menschheit und viel in ihr zusammen. Noch ist er nicht gebrochen, doch ist Zweifel Narzuhl ein weiser Lehrmeister oder bloß der Fingerzeig, selbst zu lernen?
Böses zu kontrollieren, war die Aufgabe, die sich dem Priester stellte. Der Ort wurde von dem Lehrmeister erwählt. Das dritte Geschoss des Kastells. Unvollendete Bühne und unscheinbarer Staubfänger. Seltener Gastgeber und damit umso mehr ein Ort der ruhigen Erkundung des eigenen Fortschritts.
Doch ehe Narzuhl sich versah, ehe kaum mehr als ein paar Schritte gegangen worden waren, saß der Schüler im dritten Stock weg. Jedwede Treppe, jedweder Gang in die unteren Etagen zurück, war verschwunden und ein Skelett, welches zuvor an der Wand gehangen hatte, ehe es von Narzuhl heruntergerissen worden war, lachte schallend ob der Dummheit des Magiers. Der Priester war in die Falle getappt und die Falle bestrafte ihn mit einem widerwilligen Skelett.
Der Schüler hingegen verstand. Ob es nun ein Wink war oder nicht, er versuchte die Kontrolle über das Wesen zu erlangen. Es gelang ihm nicht vollständig. Das Kastell, welches die Kreatur beschworen hatte, war mächtiger und erlaubte nicht, das Skelett vollkommen zu übernehmen. Doch genug, dass es zwar seinen Spott nicht zurück hielt, doch tat, was Narzuhl verlangte. Er schickte es hinab, um etwas zu Essen zu holen.
Und als es zurück war, hatte es zwar etwas zu Essen dabei, doch auch sämtliches Besteck, welches sonst im Kastell für Gäste und Magier zu erreichen gewesen wäre.
Jene Gäste, jene Magier nun waren gezwungen, ohne nützliches Werkzeug ihr Essen einzunehmen. Cecilia, eine Frau aus dem Wald, begann ihre Finger zu nutzen. Auch seisuke blieb kaum etwas anderes übrig, wohingegen der alte, faltige Cephas sich allein von Worten eines Hohepriesters zu ernähren schien. Jener Hohepriester, den der knurrende Magen ins Refektorium gelotst hatte, war hingegen erhaben genug, sich die Dinge zu Nutze zu machen, die das Kastell ihm als Ersatz bot. Hackebeil und Stricknadel und ein Amboss, um den Tisch mit dem Beil nicht zu zerkratzen. So teilte der Priester Fleisch auf dem Amboss und ließ es auf der Stricknadel in einem Topf von Käse umhüllen, während er Cephas von der Weisheit berichtete, die damit einherging, Veränderungen in ihrer Art zu ignorieren und sie gleichsam sofort als neue Ordnung zu akzeptieren.
Der Gedanke, offensichtlich verwirrend für den Alten, offenbarte auch, dass der Hohepriester ihm Gegenüber nicht länger der Hüter war und behauptete, dies längst schon akzeptiert zu haben. Ob dies der Wahrheit entsprach, steht im Dunkeln, obgleich Cephas sich sicher ist, sie zu kennen. Er glaubt dem Priester nicht.
Und so vergingen die Tage der Bestecklosigkeit. Narzuhl setzte sich mit dem Skelett auseinander und offenbarte das Narrentum, welches die Kreatur sich dem Magieschüler gegenüber erdreistet hatte. Doch jener Priester war machtlos, selbst dann, als er versuchte, es mit der Schattenflamme zu vernichten.
Wenn der Schatten dunkel wird und sämtliches Licht zu schwinden scheint, scheint die Welt am Abgrund zu stehen. Doch selbst das Symbol der Finsternis, das Kastells selbst, mag sich seiner Art nicht vollständig beugen und hinterlässt immer die Möglichkeit zur Rettung.
Narzuhl begegnete dem Skelett in seiner Gefangenschaft erneut und dieses Mal erzählte es seine Geschichte. Es war auf der Suche nach einem neuen Körper und hatte überdies einen Dämon gefangen. Es war selbst ein Gefangener der Dämonen, dem die Beine abgehackt worden waren, damit es nicht fliehen konnte. Und es war vielleicht nicht einmal ein Skelett…
Der Magieschüler war der Worte überdrüssig und beschwor einen Dämon, dem Skelett erneut zu begegnen. Ein Dämon, der dunkler war, als alle, die er zuvor kontrolliert hatte. Ein Dämon, der…
So beugte sich das Skelett, nachdem Narzuhl erneut den Zauber, für den zu Lernen er die Treppen emporgestiegen war, gewirkt hatte und sein Weg führte ihn zurück in Realität der dunklen Gemäuer, jedwedes Surreale hinter sich lassend.
Wenn an Orten Ambosse auf Tische stehen und Hohepriester mit dem Beile ihr Fleisch teilen, wenn Schüler sich mit alten Gefahren auseinander setzen und die Dunkelheit, die sie umfangen hat, nicht erahnen können, wenn Zauber erlernt, gewirkt und im Gespräch rekapituliert werden, verschwimmen Realität und alles Surreale. Vielleicht hat Narzuhl den Weg nicht zurück gefunden. Vielleicht war Narzuhl niemals wirklich da, wie alles, was geschrieben steht…
Das Auge bleibt offen, wenn die Schreiber die Orte zum Leben erwecken. Mögen ihre Geschichten nie enden.
(-- Ardescion)