01. Murdra |
02. Das Messer |
03. Rauch im Gebirge |
04. Gerüchte vom Kontinent |
05. Groms Hand |
06. Der hölzerne Wirt |
07. Der Fremde |
08. Der schwarze Krieger |
09. Ped |
10. Nummer drei |
11. Holz auf Stein |
12. Blutnattern |
13. Die Freiwilligen I |
14. Die Freiwilligen II |
15. Zum später zahlen |
16. Tot ist tot |
17. Schuld |
von Hans-Jörg Knabel
Der Mann, der seine Waffe nicht zieht: Die Entwicklung von Lester, einem der vier aus allen bisherigen Gothic-Teilen bekannten Freunde des Helden, zeigen diese Bilder der verschiedenen Schritte. In einzelnen Phasen geben Grafiker und 3D-Modellierer Lester ein Gesicht.
Eine Charakterskizze mit dem Profil des ehemaligen Sektenanhängers. |
Ein realistisches Renderbild des Portraits. |
Lester auf einem Screenshot im Spiel. |
»Schief« rief Murdra zur Empore hinauf und zischte unwillig.
Die Holzfäller hätten mehr getaugt, dämmerte es ihr, aber die Fischer waren billiger gewesen.
Das hat man jetzt davon!»Bist du sicher?« fragte Lorn, der den ersten Nagel schon ins Holz schlagen wollte.
»Links muss es mehr hoch. Sieht doch jeder!«
Lorn ließ den Hammer sinken. »Also gut«, seufzte er. »Hiulad: Weiter hoch!« Hiulads Gesicht war schon ganz rot, vor Anstrengung, jetzt wurde es noch roter. Unter lautem Gestöhne wuchtete er das Geländer weiter nach oben. »So?« grunzte er. Murdra zog die Stirn in Falten. »Kannst auch mal was sagen«, knurrte sie Grengar zu, der ganz in der Nähe saß und genüsslich an seinem Met nippte. Grengar grinste nur. »Ich sag‘ nichts! Hast uns nicht haben wollen, jetzt sind die Fischer dran. Wir wollen nur sehen, wie sie sich schlagen.« Die Holzfäller an seinem Tisch prosteten sich mit den Metbechern zu und lachten.
Murdra ließ ihre Spucke ratlos von der einen Seite des Mundes zur anderen gleiten. »Jetzt ist es zu hoch, mein Freund«, sagte eine Stimme in ihrem Rücken. Murdra drehte sich missmutig um, dann stockte ihr der Atem.
Fast wie ‘n Dämon, schoss es ihr durch den Kopf. Das Gesicht des Fremden, der den Schankraum durch den offenen Weinkeller betreten haben musste und einen Streitkolben am Gürtel trug, war von Tätowierungen verunziert, aber sein Blick war freundlich und seine Stimme sanft; das nahm dem Schrecken seines Anblicks die Schärfe. Der Tätowierte deutete mit der Hand auf Hiulad. »Du musst es wieder etwas ablassen, mein Freund«, sagte er mit sanfter Stimme, »aber nicht viel, nur ein Bisschen.« Mit jedem Wort, das er sprach, wehte Murdra ein Hauch von Sumpfkraut entgegen. Sie wandte sich wieder der Empore zu, musterte das Geländer mit zusammengekniffenen Augen. »Hat Recht«, rief sie. Hiulad ächzte und ließ das Geländer etwas sinken.
»So ist es gut«, sagte der Fremde.
Murdra grunzte zufrieden, während Lorn den ersten Nagel ansetzte und wuchtig mit dem Hammer ins Holz trieb. »Willst was essen, was?« fragte sie den Fremden. »Es gibt Fisch und Kartoffeln.«
»Kartoffeln sind gut«, antwortete der Fremde überaus freundlich, »aber die Fische lassen wir lieber schwimmen.«
»Auch gut«, knurrte Murdra. »Such‘ dir ‘nen Tisch, ich hol‘ dir das Essen.« Von der Empore tönte das Gehämmer der Fischer zu Murdra hinab. Sie stapfte in die Küche und kramte eine Holzschüssel unter der Anrichte hervor. Als sie wieder in den Schankraum schaute, sah sie den Fremden am Tisch der Holzfäller stehen. »Habt ihr etwas dagegen, wenn ich mich setze?« fragte er in die Runde. Die Holzfäller starrten ihm misstrauisch ins tätowierte Gesicht; keiner sprach ein Wort. Erst nach einer Weile finsteren Schweigens fragte Grengar: »Wer zum Beliar bist du?«
»Nun, mein Freund, ich heiße Lester.« Der Fremde setzte sich neben Grengar an den Tisch. »Ich komme aus Tooshoo. Na ja, nicht vom Baum, aber aus dem Sumpfland ganz in der Nähe des Baums. Ich wollte mich hier mit einem Freund treffen. Vielleicht kennst du ihn ja, sein Name ist Diego.«
»Ja, der war hier«, sagte Grengar. »Vor ein paar Tagen erst. Jetzt ist er weiter, nach Stewark.«
»Hm.« Lester schien enttäuscht zu sein. Murdra stapfte zu ihm rüber. »Kommt aber wieder«, knurrte sie und stellte die dampfende Schüssel vor ihn auf den Tisch, »heut‘ oder morgen, hat er gesagt.«
»Dann bleibe ich hier und warte auf ihn. Hast du ein Zimmer?«
Murdra nickte beiläufig mit dem Kopf. Hinter sich hörte sie die Fischer die Treppe hinabsteigen. »Wir sind fertig«, sagte Lorn. Murdra schaute zur Empore hinauf. Das Geländer war gerade, fast wie neu. »Jetzt könnten wir alle ein Met …« Lorn unterbrach sich mitten im Satz. Er blickte besorgt an Murdra vorbei, aus dem Fenster.
»Soldaten«, raunte er.
Murdra sah mindestens ein Dutzend Männer auf ihrem Hof. Sie waren alle in die gleichen setarrifischen Rüstungen gehüllt und trugen Schwerter und Schilde auf ihren Rücken.
»Silberseemänner«, murmelte Grengar. »Was wollen sie hier?«
»Hm«, brummte Hiulad. »Waren vielleicht in Stewark, bei unserem Baron. Jetzt gehen sie zurück und wollen was essen und trinken.«
Ein paar der Soldaten kamen bereits auf die Tür der Gespaltenen Jungfrau zu. Murdra eilte zur Anrichte, um Metbecher zu richten; schließlich wollten Soldaten immer Met und nicht zu wenig. Vor der offenen Küchentür sah sie noch mehr Soldaten stehen. Müssen viele sein, wenn sie nicht in den Hof passen, ging es ihr durch den Kopf, dann schwang die Tür zum Schankraum auf. Ein stattlicher Soldat mit goldenem Brustpanzer trat herein. Ein paar seiner Männer drängten an ihm vorbei und stiegen ohne zu zögern die Treppe ins obere Stockwerk hinauf. Die anderen blieben bei ihrem Offizier, der sich herrisch im Schankraum umschaute.
»Ihr betrinkt euch am helllichten Tag?« donnerte der Setarrifer. »Dann habt ihr nichts Sinnvolles zu tun?!«
»Wir sind Holzfäller und Fischer und essen hier nur«, sagte Grengar vorsichtig.
Der Offizier wandte sich halb zu seinen Männern um. »Zehn Mann, die von einer Schüssel essen. Sie müssen kleine Mägen haben, meint ihr nicht?« Die Soldaten in seinem Rücken lachten, und auch der Offizier stimmte in ihr Lachen ein, aber nur kurz, dann setzte er Grengar der vollen Strenge seines Blicks aus. »Ich sage, ihr seid faule Hunde und solltet euch schämen!« Fischer wie Holzfäller schwiegen und mieden es, den setarrifischen Offizier anzusehen, nur Lester nicht. Er zog die Stirn leicht in Falten und steckte sich etwas in den Mund, an dem er zu kauen begann.
»Ihr schämt euch tatsächlich, ich kann es sehen«, fuhr der Offizier fort. »Aber ihr habt Glück! Ich biete euch die Gelegenheit, euch die Scham vom Gewissen zu waschen. Der König braucht tapfere Männer, Freiwillige, die für ihn in der Schlucht von Thorniara gegen die Myrtaner kämpfen.« Er ging auf Hiulad zu und fragte: »Was sagst du dazu?«
»Hm«, grummelte Hiulad unsicher und tumbe wie immer. »Klingt … gut …?«
»Das will ich meinen. Wie heißt du?«
»Ich bin Hiulad, der Fischer.«
Der Offizier schaute über die Schulter zurück, zu seinen Männern. »Schreibt auf: Hiulad, der Fischer aus Stewark, meldet sich freiwillig zum Dienst an der Waffe.«
»Hm?« brummte Hiulad erstaunt, aber der Offizier beachtete ihn längst nicht mehr.
»Noch jemand?«, fragte der Setarrifer in die Runde. Grengar erhob sich vorsichtig von seinem Stuhl. »Du?« donnerte der Offizier.
Grengar schüttelte den Kopf. »Ich bin Holzfäller, das Soldatenleben ist nichts für mich.«
»Das kannst du nicht wissen«, sagte der Offizier. Er stieß Grengar in Richtung seiner Soldaten. »Wir nehmen dich mit, dann kannst du es kosten.« Sein Blick fiel auf Lester und sein tätowiertes Gesicht. »Du siehst fast wie ein Schwarzmagier aus«, sagte er. »Kannst du zaubern?«
»Nein«, erwiderte Lester.
»Kannst du kämpfen?«
»Kaum.«
»Du hast da aber einen stattlichen Streitkolben an deinem Gürtel hängen«, stelle der Offizier fest.
»Der, mein Freund, dient nur der Abschreckung«, sagte Lester mit sanfter Stimme. »Ich gebrauche ihn nie.«
Der Offizier lachte und packte Lester mit seinem schweren Eisenhandschuh an der Schulter »Du kommst jetzt mit uns«, sagte er mit einem Grollen in der Stimme, das keinen Widerspruch zuließ. »Wir zeigen dir, wie man einen Streitkolben schwingt.«
Lester, der wohl erkannt hatte, dass man ihm keine Wahl lassen würde, stand auf. »Wenn es denn sein muss«, sagte er.
»Es muss sein«, bestätigte der Offizier und zog Lester vom Tisch weg.
»Hier oben ist keiner«, tönte es von der Empore.
»Bedauerlich«, sagte der Offizier und zeigte in die Runde. »Nehmt sie mit, allesamt! Nur das fette Weib lasst hier – wir können sie nicht brauchen.«
Die setarrifischen Soldaten setzten sich in Bewegung und ergriffen die Männer, die sich in Murdras Schankraum aufhielten. Der Offizier behielt Lester fest im Griff und schob ihn zur Tür. Lester leistete keinen Widerstand, er verdrehte nur die Augen und kaute seelenruhig vor sich hin, während ihm der Streitkolben nutzlos vom Gürtel hing.
Lorn wollte sich nicht so leicht in sein Schicksal fügen. Mit einem kräftigen Ruck riss er sich los und preschte hinter Murdra und der Anrichte durch, in Richtung der Küchentür. Bringt nichts, dachte Murdra. Die Soldaten, die vor der Tür lauerten, grinsten Lorn milde entgegen.
»Hiergeblieben!« bellte einer von ihnen und rammte dem Fischer die eiserne Faust in den Magen. Lorn klappte mit dem Oberkörper nach vorn, blieb, die Wange gegen den Plattenharnisch des Soldaten gelehnt, stehen und japste nach Luft. Für einen Augenblick ließen ihn die Soldaten verschnaufen, dann nahmen sie ihn an beiden Armen und schleiften ihn durch die Küche und den Schankraum, hinaus auf den Hof.
Die Tür der Gespaltenen Jungfrau fiel ins Schloss.
Der Schankraum lag leer und still vor Murdra. Nur vom Hof her drangen wütende Rufe herein. Wenigstens ist das Geländer gemacht, dachte Murdra, dann zog sie ein kleines Büchlein samt Gänsefeder und Tintenfässchen unter der Anrichte hervor. In Gedanken ging sie noch einmal durch, wer was gegessen und getrunken hatte. Als sich das Geschrei allmählich vom Hof entfernte, notierte sie aufs Genauste, wer ihr was schuldig geblieben war.
Fragen an den Autor? Hier klicken! (Spellbound-Forum)
Allgemeine Diskussion (WorldofGothic-Forum)