Von Hans-Jörg Knabel und
Daniel Stacey (aka Mage of Adanos)
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Die Kleidung "normaler" Leute auf Argaan. |
Vier Krüge weniger. Belgor lächelte trotzdem.
»Da gibt’s nichts zu lächeln«, fauchte Murdra mit einem wütenden Blick auf Ped, der am Boden kauerte und hastig nach den Scherben griff. Der neue Knecht war schlimmer als der alte. Lahm, faul und schwach, dachte Murdra. Kann nicht mal vier Bier aufs Mal tragen! Sie warf einen Lappen in die Bierlache. »Aufwischen!«
»So schlimm ist‘s nun auch wieder nicht«, sagte Belgor mit einem milden Brummen in der Stimme.
»Pah!«zischte Murdra. Den alten Knecht hätt‘ er gescholten, den neuen verhätschelt er – seit zwei Wochen schon. »Die Krüge zerbrochen und vier Mann warten aufs Bier«, sagte sie anklagend. Dann stieß sie den Knecht zornig mit dem Fuß an. »Wo?«
»Am mittleren Tisch«, murmelte Ped.
»Garv und seine Freunde«, knurrte Murdra nach einem kurzen Blick in den Schankraum. »Das gibt Ärger!« Sie stellte vier neue Krüge auf die Anrichte und füllte sie mit Bier. Als sie fertig war, kniete der Knecht immer noch auf dem Boden. »Beweg dich!« befahl Murdra, dann nahm sie die Bierkrüge auf und stapfte in den Schankraum.
Die Stimmung im Raum war gerade so finster wie Murdras Laune. Die Gäste saßen dicht gedrängt an den Tischen, steckten die Köpfe zusammen und tuschelten miteinander im Kerzenschein. Murdra konnte nur Wortfetzen hören, aber sie wusste, worüber sie sprachen: Über den düsteren Fund vom Vormittag, der bedrohlich neben Lorn an der Wand lehnte. Es war eine Holzplanke, gesplittert an den Enden und halb verkohlt. Darauf stand in goldenen Buchstaben: ›Träne von Setarrif‹. Lorn und die anderen Fischer hatten die Planke aus dem Meer gezogen und in die Jungfrau geschleppt.
»Es ist nur ein Schiff«, hörte Murdra Elgan sagen, als sie den Tisch passierte.
»Ja«, raunte Lorn, »aber... es ist das Flaggschiff.«
Murdra stapfte weiter. Was brachte es, sich den Kopf zu zerbrechen, ob die Seeschlacht verloren war? Wenn sich die hohen Herren streiten, kann man nichts machen, dachte sie. Nur ducken – und hoffen. Ans Beten dachte Murdra schon lange nicht mehr.
»Endlich!« tönte Garv, als Murdra den Tisch erreichte, an dem er mit seinen Freunden saß. Sein Kopf war glatt rasiert, wie immer. Die wulstige Narbe, die ihm vom Ohr bis zum Kinn reichte, verzerrte sich bedrohlich, während er sprach. »Dachte schon, die scheiß Myrtaner landen, bevor ich mein verfluchtes Bier bekomm‘.«
»Jetzt hast du’s ja«, zischte Murdra und ließ die Bierkrüge vor Garv auf den Tisch krachen.
»Meinst, das reicht, als Entschuldigung?« grunzte Garv mit einem unheilvollen Grinsen im vernarbten Gesicht. Murdra spürte seine Hand an ihrem Hintern. Finger gruben sich hart in ihr Fleisch. So weit kommt’s noch, dachte sie, dann verpasste sie ihm eine schallende Ohrfeige. Die Männer am Tisch schauten einander erwartungsvoll an. Garv rieb sich die Wange und musterte Murdra mit stechenden Augen. Murdra wusste, dass er mit Vorsicht zu genießen war, aber sie hielt seinem Blick stand.
»Was?« fragte sie herausfordernd.
Garv schwieg. Murdra zögerte nicht länger. Sie wandte sich von ihm ab und stapfte los, in Richtung ihrer Küche. Den ganzen Weg zurück hatte sie ein ungutes Gefühl. Wird heut‘ noch Ärger machen, der Hund, dachte sie und warsich fast sicher, dass der Ärger bald kommen würde.
Der Knecht huschte in den Schankraum, als Murdra die Küche erreichte. »Wird aber auch Zeit!« fauchte sie und bedachte ihn mit einem strengen Blick, dann kramte sie ein paar Suppenteller aus dem Küchenschrank und stellte sie vor sich auf die Anrichte.
Im Schankraum fiel polternd ein Stuhl zu Boden. Murdra schaute auf.
Garv stand neben dem Tisch, den Bierkrug in der Hand. Er spie prustend einen Schwall Bier auf den Boden. »Das ist kein Bier«, brüllte er, »das ist verdünnte Pisse!« Die Gespräche im Schankraum verstummten. Der Hund, dachte Murdra, dann sah sie den Bierkrug auf sich zu fliegen und duckte sich hinter die Anrichte.
Der Krug flog über Murdra hinweg, zerschellte hinter ihr an der Küchenwand.
»Noch ein Krug weniger«, grollte Murdra. Kühles Bier tropfte ihr vom Haar in den Nacken und auf die Stirn. Murdra richtete sich auf und fletschte die Zähne. Sie war drauf und dran, geradewegs auf Garv loszustürmen, doch dann hielt sie inne.
»Du!« donnerte sie in Richtung des neuen Knechts. »Werf‘ ihn raus!«
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Die Kleidung "normaler" Leute auf Argaan. |
Der Knecht zögerte. Garv überragte ihn um zwei, nein, drei Köpfe. Jetzt kann er zeigen, ob er was taugt, dachte Murdra und griff nach einem Tuch, um sich das Bier von der Stirn zu wischen. Ped ging auf Garv zu, langsam und scheu wie ein Reh. »Du, äh, du solltest jetzt gehen«, sagte er – viel zu zart und viel zu leise.
Garv betrachtete den Knecht gelassen, mit seinen dunklen Augen. »Oder ... was?« fragte er.
Ped schreckte zurück. »M... Murdra!« quietschte er.
Murdra verdrehte die Augen. Garv lachte. »Du gehorchst einer Frau?« fragte er und beugte sich zu Ped hinunter. »Was für ein Mann bist du?«
Ped brachte kein Wort hervor.
Garv grinste. »Bist noch kein Mann, was?« höhnte er. »Das können wir ändern.« Er packte Ped unter den Achseln und ließ ihn in der Luft baumeln. Ich hab’s ja gleich gesagt, dachte Murdra. Der taugt nichts. Garv schien die Entfernung bis zur Tür abzuschätzen. »Mal sehen, ob du von hier über die Schwelle fliegst«, grölte er. Dann war Belgor hinter ihm.
»Lass‘ ihn runter«, sagte Belgor mit tiefer, ruhiger Stimme. Garv drehte sich zu ihm um, ohne Ped abzusetzen.
»Ich sag’s nicht noch mal, Garv!«
»Oh«, sagte Garv, »der Held des Königs, kein Geringerer!« Er ließ Ped auf den Boden krachen. »Ich hab‘ kein Problem mit dir, Belgor. Nur mit deinem Bier, deiner Bedienung und deiner ganzen stinkenden Taverne.«
»Dann kannst du ja geh‘n«, sagte Belgor bestimmt und stakte einen Schritt mit dem Holzbein voran. Garvs Freunde und ein paar der Holzfäller erhoben sich langsam von ihren Stühlen. Eine Schlägerei lag in der Luft. Murdra hatte genug.. Sie warf das Tuch zurück auf die Anrichte und stapfte in den Schankraum. »Warum lässt du Ped das nicht regeln?« fragte sie Belgor noch im Gehen. »Das war die Abmachung. Er zeigt, dass er was taugt, oder ...«
»Er fliegt raus, ich weiß«, beendete Belgor ihren Satz. »Aber: Was soll der Junge denn tun, gegen Garv?.«
»Pah!« zischte Murdra genervt. Sie schaute Garv herausfordernd an und stemmte ihre Fäuste in die Hüfte. »Wie steht’s mit mir? Willst du mich auch über die Schwelle werfen?«
Für einen Moment sah es so aus, als würde Garv tatsächlich darüber nachdenken. Dann zuckte er mit den Achseln. »Scheiß drauf«, knurrte er. »Das Bier hier kann eh keiner trinken.« Er kehrte Murdra den Rücken zu und verließ den Schankraum zusammen mit seinen Freunden.
»Na also«, zischte Murdra und schaute sich um. Der Knecht hatte sich verzogen. Murdra konnte gerade noch sehen, wie er über die Empore lief. »Verschwindet einfach und lässt die Arbeit liegen«, fauchte sie. »Wo gibt’s den so was?«
»Ich rede mit ihm«, sagte Belgor, dann folgte er dem Knecht die Treppe hinauf.
Es dauerte nicht lange, dann kehrten die Gäste zu ihren düsteren Gesprächen über die Seeschlacht und die drohende Landung der Myrtaner zurück. Rufe nach Met und Bier übertönten das Getuschel. Murdra machte sich an die Arbeit. Nachdem sie vier Tische alleine bedient hatte, wurde sie ungeduldig.
Warum dauert das so lange? fragte sie sich.
Nach dem fünften Tisch erhaschte Murdra einen Blick auf Ped, der über den Hof ging. Er musste das Haus verlassen haben, als sie gerade in der Küche war. Murdra wollte rausgehen und nachschauen, was er trieb, aber sie wurde von Elgan und Lorn aufgehalten, deren Met sie vergessen hatte. Murdra schnaubte genervt und ging zurück in die Küche.
Als sie die Metbecher an Elgans Tisch brachte, konnte Murdra aus den Augenwinkeln sehen, wie Ped zurück in den Schankraum kam. Er ging schnurstracks die Treppe hinauf. »Jetzt reicht’s!« knurrte Murdra. Sie stellte die Metbecher auf dem Tisch ab.
»Bringst du mir noch eine Fleischsuppe?« fragte Elgan.
»Später«, sagte Murdra und wischte sich die Hände an der Schürze ab. Dann ging sie zur Treppe.
Sie konnte sehen, wie sich der Knecht von der Empore auf den Balkon schlich. Murdra stieg die Treppe hoch. Die siebte Stufe ächzte unter ihren Pantoffeln – wie immer. Aber irgendetwas war anders. Murdra spürte, wie sich die feinen Härchen in ihrem Nacken aufrichteten. Sonst konnte sie Belgors Holzbein überall auf dem Anwesen hören, egal, ob er gerade im Schankraum, auf der Empore oder im Hof werkelte. Es war ein regelmäßiges, vertrautes Tock, Tock, Tock. Jetzt schwieg das Bein – seit einiger Zeit schon.
Murdra ging schneller, die letzten Stufen hinauf, über die Empore, auf den Balkon. Die Tür zum Gemeinschaftsschlafraum, in dem Murdra den Knecht einquartiert hatte, stand offen. Murdra ging auf die Tür zu. Als sie das Holzbein auf dem Boden liegen sah, schien etwas in ihrem Innerem zu verdorren.
Belgor war tot. Sie war sich sicher.
Trotzdem ging sie weiter, bis sie im Türrahmen stand. Warum? fragte sie sich. Belgor lag rücklings auf dem Boden, die Augen weit aufgerissen. Ped stand nicht weit von Belgor entfernt, bewegungslos, mit dem Rücken zur Tür.
»Warum?« fragte Murdra mit leiser, tonloser Stimme. Dann überkam sie die Wut. »Warum?« schrie Murdra noch einmal. Sie wusste nicht, was sie sonst hätte sagen sollen.
Ped drehte sich zu ihr um. »Es tut mir leid«, wisperte er.
»Das reicht nicht!« donnerte Murdra. Sie stürmte auf Ped zu, packte ihn am Kragen und stieß ihn mit aller Kraft zur Seite. Ped stolperte über den Bettrahmen. Sein Kopf krachte gegen die Wand. Dann stürzte er auf den Boden – direkt neben Belgor. Fast wie Vater und Sohn, dachte Murdra. Beide tot?
Dann löste sich ihre Welt in Tränen auf.
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