Silden - „Ich hab da ein ganz mieses Gefühl...“
In der letzten Ausgabe wurde über das Flüchtlingsproblem und Diebstähle in Silden berichtet. Die Meinung, dass noch mehr Ärger ansteht bestätigte sich auf eine Art, die niemand mag – die Ungewisse. Niemand weiß, was morgen passieren könnte und was da ist. Gift für jeden der sich mehr Gedanken macht und um den Schlaf gebracht wird. Einen von ihnen begegnete jüngst der Waldläufer Vigo. Es ist der Besitzer der örtlichen Taverne.
„Ich hab da ein ganz mieses Gefühl...“, spricht Aidar, der Wirt der 'Grünen Krähe' in Silden. Dabei fährt sich der schon ältere Mann über den fast kahlen Schädel und verzieht leicht das unrasierte, leicht faltige Gesicht, als hätte er Bauchschmerzen.
Er schiebt mir einen Krug Kräuterbier zu und hebt den seinen zum anstoßen. Ich stoße mit an und trinke natürlich mit. Auch wenn das Zeug grausig schmeckt.
Immer wenn ich nach Silden komme, führt es mich hierher in die Grüne Krähe. Muss ja erfahren was in der 'Heimat' los ist, bevor es wieder für Wochen durch myrtanisches Unterholz geht. Wäre ich gemein, würde ich sagen, dass mich dieses Kräuterbier aus Silden treibt.Vielleicht ist es aber auch nur der Geruch der Wälder und die Ruhe, die es im Wald schier einzig für einen Waldvölkler wirklich zu geben mag, wenn man Nachts über freien Himmel sprichwörtlich Fuchs und Reh >Gute Nacht!< sagt.
„Erzähl...“, sage ich und wische mir den schaumigen Mund ab, nachdem der Krug auf dem Tisch aufliegt.
„Wo soll ich anfangen, Vigo?“, fragt Aidar und zieht eine faltige Stirn. Dann kommt er auf etwas, seine Mimik verrät den Wirt. Meine Fragen, die mich seit meiner letzten Abreise beschäftigten, stelle ich zurück. Waren auch weniger wichtig, wenn ich Aidars Miene richtig deuten kann. Scheint wirklich ernst zu sein.
„Wenn diese Flüchtlinge die einzige Sorge wären, wäre es ja noch ertragbar. Man sieht sie und weiß was sie treiben. Aber was in den Nordwäldern los ist und mit jenen die vermisst werden, das lässt mich kaum noch richtig schlafen. Das Schlimme ist – niemand weiß mehr. Ich habe diese Diebesbande im Sinn, die vor ein paar Wochen hier Ärger machte. Kriminelles Flüchtlingspack, wenn es nach mir geht. Sie machen ihre Drohungen wahr, aber dass sie so weit gehen und Leute entführen? Zwei Jäger sprachen davon, dass sie sogar Leichen oder mehr die Überreste in den Nordwäldern vorfanden. Ich weiß nicht, was man machen soll. Da sollte mal einer ganz fest dazwischen hauen.“, meint der Wirt und reibt sich nachdenklich durchs Gesicht. Ich ziehe die Augenbrauen hoch und werde nachdenklich. Vielleicht hätte ich schon früher bei Jarvo und Jodas vorbei schauen sollen. Die werden mehr wissen, aber es nicht an die Dorfbewohner hinausposaunen.
Ja, so läuft der Hase hier. Würden die Sildener das wissen, was wir Waldläufer so alles mitbekommen – sie würden die Wälder aus Angst meiden und uns auch mehr respektieren. Aber was soll es? Die Hälfte hier kenne ich nicht mehr und die andere kann ich nicht ausstehen.
„Und sonst?“, frage ich, als würde es mich nicht wirklich kümmern. Als hätte ich schon bei weitem Schlimmeres erlebt und dem ist so. Aber was interessieren die Schauermärchen eines Waldläufers? Aidar nickt und befeuchtet seine Kehle mit seinem Spezialgebräu. Immerhin mag er diesen Mist. Lauwarm schmeckt das Zeug einfach wie Pisse von einen Ackergaul, der mit Kräutern vollgestopft wurde.
„Drachen, mein Freund! Da soll so einer ebenfalls in den Nordwäldern sein. Keiner sah das Vieh, aber alle glauben sie daran. Als ob Gerüchte und Angst in diesem Dorf alles bestimmen würden. Fragst du mich, ist das Unsinn. Das ist bestimmt diese Diebesbande, die hier im Dorf den Waschweibern so einen Mist erzählt, damit bloß niemand in die Nordwälder geht. Für mich erscheint es logisch. Zähl einfach eins und eins zusammen. Wäre ich der Boss dieser Diebesbande würde ich auch meine Feinde so narren. Oder was denkst du?“, fragt er und lächelt mich an, als ob er einzig ein >Ja, natürlich! So muss es sein, Aidar.< als Antwort duldet.
Ich mache Aidar den Gefallen, wieso sollte ich mich in das Geschwätz von Waschweibern, Wirten und einfachen Dörflern einmischen? Trotzdem hege ich innerlich Zweifel daran. Wären es denn nur diese Diebe, hätten die Wächter und das nördliche Patrouillenlager zugeschlagen.
„Haben die Wächter seit diesen Gerüchten was in Richtung Nordwälder getan?“, frage ich und spiele hochinteressiert mit. Aidar grübelt, versucht Erinnerungen und Gespräche der letzten Zeit Revue passieren zu lassen. Doch sein Kopfschütteln, genügt mir dann als Antwort.
Ich trinke artig den Krug aus, setze ein gespieltes Lächeln auf und danke Aidar für die kleine Unterredung. Draußen begebe ich mich sogleich in Richtung Sippenkriegerhaus.
Denn eins steht fest – da ist mehr im Busch und je mehr ich mir ausmale, wieso Jarvo und Jodas noch nichts gen Nordwälder unternahmen, umso mehr beschleicht es mich, dass es etwas Gefährliches sein muss.
„Ich hab da ein ganz mieses Gefühl...“, wispere ich in den Nachthimmel und stimme innerlich Aidar zu.
(Ornlu)