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6 Verseschmiede

Und in all den trüben Tagen
hört die Prinzessin man nie klagen,
nie traurig ihre Worte klangen,
nie Tränen netzten ihre Wangen.
Als tapfer dies Benehmen galt,
doch war ihr Herz wie Stein so kalt.

Doch schon das nächste Unglück droht,
es folgte eine Hungersnot.
Das Korn verdorrte auf dem Feld,
Brot gabs bald nur für teures Geld.
So mußten viele Menschen darben.
und sie zuletzt vor Hunger starben.

Des Prinzen Last ward immer mehr,
der Kummer drückte ihn gar sehr,
doch die Prinzessin focht das nicht,
nie Tränen netzten ihr Gesicht.
Hartherzig der Prinzessin Tun
schien manchen, die sie sahen, nun.

Ob zweie nicht genügend sein,
die nächste Plage brach herein:
Ein Heer die Grenzen überrennt
und alle Dörfer niederbrennt.
Der Königssohn die Schlacht verliert,
der Feind nach noch mehr Beute giert.

Der Prinz sodann in wilder Flucht
die Rückkehr in sein Schloß versucht.
Als er im Hof vom Pferde steigt,
kein Rühren die Prinzessin zeigt.
Da merkt auch er: Etwas nicht stimmt
und er auf eine Prüfung sinnt.

So zeigt er ihr den goldnen Ring,
den er einst von ihr empfing.
›Wo hab ich diesen Ring hier her?‹
Sie sagt: ›Das weiß ich nimmermehr.‹
Nun endlich er den Fehler findet:
Vor ihm sich der Drache windet.

Beherzt sein scharfes Schwert er zückt,
dem Drachen schnell zu Leibe rückt,
genug hat der ihn nun getäuscht,
nicht nochmal er ihm entfleucht.
Der Zorn ihm alle Sinne raubt,
flugs spaltet er des Mädchens Haupt.

Und noch im Todeskampf verwandelt,
des Drachens Leib den Hof verschandelt.
Der Prinz des klugen Rats gedenkt,
den die Maid ihm einst geschenkt:
›Drachen niemals Tränen weinen,
auch wenn sie noch so menschlich scheinen.‹

Schnell auf sein treues Roß er springt,
den Feind dann mutig niederringt,
und danach gleich voller Hast
zur Drachenhöhle ohne Rast
reitet er in einem fort,
denn er weiß das Mädchen dort.

Und als er dann das Tal erreicht,
findet er sie dort ganz leicht,
sieht der Prinz sie traurig sitzen,
in ihren Augen Tränen blitzen.
›Der Drache ist nun endlich tot,
zu Ende ist jetzt unsre Not.‹

Und er nimmt sie bei der Hand,
führt sie nach Hause in sein Land,
und ganz plötzlich kommt zurück
in sein Königreich das Glück.
So lebten sie noch viele Jahr
Als hochgeliebtes Königspaar.

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