Bote: Neben dieser schönen Quest, die du mit Angelina zusammen geschrieben hast, hast du ja auch noch an einigen anderen im Laufe der Jahre teilgenommen. Da wären: „
Licht und Schatten“ von Hilias/Estragon im Jahr 2004, „
Das Vermächtnis des Alea“ von KaRhaBs aus dem Jahr 2006, „
Niedergang der Tugenden“ 2007 und „
Im Nebel“ von Melaine im Jahr 2009.
Kannst du uns ein wenig von diesen Quests erzählen? Worum ging es bei ihnen? Welche Schätze hat Ceron am Ende ergattert? Und gab es ungewöhnliche Dinge, die passierten und die du in besonderer Erinnerung hast? Erinnerst du dich noch an die Quest aus dem Jahr 2004?
Ceron: Am besten erinnere ich mich an „Niedergang der Tugenden“. Der Questmaster, James Bond, hat sich in einzigartiger Weise darauf verstanden, den Questteilnehmern ihren Teil der Geschichte zuzugestehen und sie damit in die Verantwortung zu ziehen. Den Magiern unter den Teilnehmern wurden Tugenden zugeteilt, die sie in einer fernen Welt zu verteidigen hatten. Die eher kriegerisch veranlagten Abenteurer hatten ebenso alle Hände voll zu tun. Der, um es im MMORPG-Jargon zu sagen, "Questloot" ist eine Geschichte, die ich noch heute gerne nachlese.
Meine erste Quest "Licht und Schatten" bot mir die Gelegenheit, eine Zeit lang mit wirklich guten Schreibern an einer Erzählung zu arbeiten. Dies ist es auch, was mir von den Quests geblieben ist. Ich könnte zumindest keinen Gegenstand nennen, den Ceron auf seinen Reisen mitgenommen hätte, der noch heute in meinem imaginären Inventar steckt.
Natürlich sind in der Zeit außerhalb der traditionellen Rollenspielwelt einige Regeln gebogen worden und ein verrücktes Ereignis hat das nächste gejagt. Mein erster Versuch in diese Richtung schoss natürlich etwas über's Ziel hinaus. Aber wer wollte schon nicht immer mal zum Drachen mutieren? Noch im Laufe der Quest stellte sich jedoch heraus, dass die Idee nicht wirklich durchdacht war. Schon nach kurzer Zeit hatte ich meine Schuppenhaut nämlich gänzlich vergessen und mich stattdessen auf das Zusammenspiel mit den anderen Postern fokussiert. Dies ist es nämlich, was «klassische» Quests ausmacht: Man kann sich abseits des Rollenspielalltags ganz auf die Ideen seiner Mitstreiter einlassen.
Bote: Wie siehst du deinen Charakter nun, nach so vielen Jahren der Teilnahme? Hat er alles erreicht, was du dir vorgenommen hattest? Gibt es noch Dinge, die du ihn gerne erleben lassen möchtest? Oder gehen dir die Geschichten aus? Meditate meinte vor vielen Jahren einmal, irgendwann müßte doch alles einmal erzählt sein und dann wäre Schluß. Siehst du das ähnlich oder denkst du vielmehr, daß sich immer wieder neue Türen zu neuen Erlebnissen auftun werden?
Ceron: Harry Potter hat sieben Bände gefüllt. Und obwohl bei Ceron schon längst jegliche Tricks, mit denen man das Post-Zählsystem des WoG überlisten könnte, versagen, denke ich nicht, dass alles erzählt ist. Die Frage ist vielmehr: Wann habe ich genug von dem Charakter? Ich habe nie einen großen Plan angelegt. Der größte Wurf - kein Wortspiel angedacht - war wohl Jil. Jeder der meine Posts in den letzten zwei Jahren verfolgt hat, konnte unschwer erkennen, dass ich immer mehr Mühe habe, Ceron zu posten. Wenn ich es mir einfach machen will, erkläre ich mir, ich hätte sein Charakterkonzept gegen die Wand gefahren. Doch das hat mich damals auf meiner ersten Quest nicht im Geringsten gestört. Die Idee, mir im Bad in den Tiefen des Kastells plötzlich Drachenschuppen wachsen zu lassen, war völlig unüberlegt und doch hatte ich nicht das Gefühl, mein Charakter fühle sich seltsam an. Nicht eine Sekunde. Ich wollte posten, ich wollte etwas erleben. Zu sagen, Ceron hätte alles erlebt, wäre also eine Ausflucht.
Solange der Poster eine Muse hat, die ihn inspiriert, macht der Charakter jede Geschichte glaubwürdig mit. Wenn ich selbst mein Herz an eine junge Posterin verloren hätte, die mit Ceron die Welt entdecken wollte - ich würde das ganze Rollenspiel nochmal füllen.
Bote: Hat denn die Vorlage einen signifikanten Einfluss auf deinen Charakter, also hat es sich auf Khorinis anders geschrieben als auf dem Festland und nun auf Argaan? Oder ist die Umgebung eher sekundär, da nur ein farbiges Bühnenbild für Geschichten, die allein auf den eigenen Ideen beruhen?
Ceron: Ich denke man muss unterscheiden zwischen dem Einfluss, den die (Spiel-)vorlage auf den Charakter hat und den Einfluss auf den Schreiber. Der Charakter wird in eine Welt hineingeboren. Khorinis ist das Erz, aus dem ich Ceron geschmiedet habe. Die anderen Welten sind die Beschläge, die ich ihm verpasst habe, damit er mit den neuen Gegebenheiten klarkommt.
Gothic 2 war jedoch das Spiel, das mich monatelang gefesselt hat. Eine schlechte Story hätte ich nicht mehrere Dutzend Mal auf immer neue Arten durchgespielt. Arcania war hingegen nur gerade eine Woche auf meinem Rechner installiert. Ich hab mich einmal durch den Schlauch gewürgt und mich dann wieder dem Rollenspiel zugewandt, das damals noch auf dem Festland stattfand. Um es vorsichtig auszudrücken: Ich war nicht sehr erpicht darauf, Argaan mit meinen Charakteren zu entdecken. Daher Spitzhut ab vor all jenen, die heute ihren ersten Charakter erstellen: Ihr seid echt hart im Nehmen. Natürlich schlägt ein dermaßen schlechtes Spiel auf die Motivation, seinen Charakter in der Welt zu beschreiben. Ich musste mich erst mal vom Spiel erholen, bevor ich frei war, neue Geschichten zu schreiben.
Bote: Naja, ist das Urteil nicht zu hart? Letztendlich wird für das Rollenspiel ja nur die Weltvorlage benutzt, nicht die furchtbar simple Queststruktur, das lächerliche Handwerkssystem, die schlauchförmigen Level, das stupide Kampfsystem, die hohlen Dialoge, die austauschbaren NPC oder das lachhafte Magiesystem. Und die Levelgestaltung an sich und die grafische Ausgestaltung der Welt bis hin zum Monsterdesign sind ja bei Arcania durchaus gelungen, oder? Und bieten die visuellen Inhalte nicht die stärkste Inspiration, um Argaan entdecken zu wollen, sich darauf einzulassen, um die eigene, bessere Geschichte zu erzählen? Also mit den Möglichkeiten, die das Rollenspiel-Forum bietet, etwas viel Schöneres aus diesem unfertig wirkenden Spiel zu machen?
Ceron: Stell dir vor, Arcania hätte eine lebendige Welt mit starken Charakteren geboten. Stell dir vor, du hättest frei entscheiden können, wessen Interessen du auf der Welt vertrittst und die Welt wäre dynamisch gewesen dahingehend, dass sie sich mit deinen Entscheidungen verändert hätte. Hätte dies die Wandlung vom Söldner zum Lakaien Ethorns nicht deutlich vereinfacht - einfach, weil alle Lust gehabt hätten, einer ähnlichen Gilde beizutreten? Gothic 3 mochte nicht das beste Spiel aller Zeiten gewesen sein, aber Junge haben die uns mit den Assassinen vielleicht die Türe eingerannt. Diese klar durch die Spielvorlage getriebene Motivation, die beim Poster ansetzt, konnte bisher noch keine Umsetzung hervorrufen. Die Umsetzung ist immens wichtig, damit das Posten über längere Frist Spaß macht, denn sie bietet einen geregelten Rahmen, in dem man sich entfalten kann. Doch sie kickt den Schreiber nicht von der Couch ins Anmeldeformular.