Portal-Zone Gothic-Zone Gothic II-Zone Gothic 3-Zone Gothic 4-Zone Modifikationen-Zone Download-Zone Foren-Zone RPG-Zone Almanach-Zone Spirit of Gothic
English Deutsch
World of Gothic





Heute vor zehn Jahren ist das Rollenspiel Gothic erschienen. Am 15. März 2001 stand es nach langer Entwicklungszeit und vielen Verschiebungen in den Läden: Das Erstlingswerk eines bis dahin unbekannten Studios, in das vier Jahre lang all das Herzblut der Entwickler geflossen war, wurde endlich flügge. Und begeisterte Kritiker und Fans. Ein Rückblick.


Der Multiplayermodus

Am Anfang war sogar ein Multiplayer-Modus für Gothic geplant und wurde auch nach außen kommuniziert. Doch im Laufe der Entwicklung zeigte sich immer mehr, dass dabei der Wunsch der Vater des Gedankens war. Es traten Probleme auf, die bis heute in Rollenspielen Entwickler auf Trab halten. Wie erzählt man eine lineare Geschichte, die für einen Helden geschrieben wurde, wenn sie von mehreren Spielern erlebt wird? Wie verteilt man Quests, wie Erfahrungspunkt? Wie hält man die Reihenfolge der Quests ein, wenn sie jeder annehmen kann? Oder darf sie immer nur einer annehmen und alle anderen Spieler sind lediglich Supporter? Wie balanciert man den Schwierigkeitsgrad aus? Wie entscheidet man in der Frage des Gildenbeitritts? Müssen alle Spieler der selben Gilde beitreten, egal ob sie das überhaupt möchten? Diese und weitere ungelöste Fragen führten dazu, dass der funktionierende Netzwerkcode nicht weiter entwickelt und das Feature im Juni 2000, also neun Monate vor Release, ersatzlos gestrichen wurde.
10 Jahre Gothic

Von der Idee zum Spiel

Es war einmal, in einer Zeit, als echte Rollenspielhelden mehrseitige Papiere mit all ihren Charakterwerten mit sich führten, um sich ausweisen zu können und als die Bevölkerung einer Rollenspielwelt noch Tag und Nacht an immer den selben Stellen bereit stand, abenteuerlustigen Helden Aufgaben aufzutragen, da begab es sich... so oder ähnlich könnte man die Geschichte, die zur Entstehung der Gothic-Serie führte, beginnen.
Gothic - Der Verspätungkandidat

Mit der Entwicklung des Spiels begonnen wurde im Oktober 1997. Das Release wurde zuerst angekündigt für Mitte 1999, später präzisiert auf das 3. Quartal 1999. Dann wurde es auf Sommer 2000 verschoben, danach auf Dezember 2000, um am Ende am 15. März 2001 endlich zu erscheinen. Auch vor zehn Jahren war die Erschaffung eines Rollenspiels offenbar schon eine komplexe Angelegenheit, die sich direkter Planbarkeit verschloss.
Tatsächlich gründete sich im Oktober 1997 in Bochum unter dem Namen Piranha Bytes ein kleines Spielestudio, das sich zur Aufgabe machte, ein Rollenspiel zu erschaffen, wie es die Spielewelt noch nicht gesehen hatte. Vieles wollte man anders machen, besser, innovativer. Die vier Gründer Mike Hoge, Tom Putzki, Alex Brüggemann und Stefan Nyul, damals beschäftigt beim Spieleentwickler Greenwood Entertainment, der mit Spielen wie Der Planer oder Mad TV2 in den 90ern Erfolge feiern konnte, berichten von der Entstehungsphase: „Dort entstand die Idee für ein Fantasy-RPG, der Arbeitstitel war Orpheus. Wir hatten damals für alle Projekte Arbeitstitel aus der griechischen Mythologie“, erinnert sich Tom Putzki.


Wieso Gothic?

Auch woher der endgültige Name des Projektes stammt, kann er erklären: „Wir suchten einen Namen, der ein wenig düsterer, schmutziger, dreckiger war als die üblichen Fantasy-Titel. Eben so wie unser Spiel werden sollte: keine Blümchen- und Bienchen-Fantasy, kein lustiges Baumgekuschel, sondern etwa Handfesteres.“ Da kam die Idee eines Programmierers, das Spiel Gothic zu nennen, gerade recht. Das englische Wort gothic besitzt mehrere Bedeutungen. Unter anderem steht es als Synonym für barbarisch, grausig, finster. Auch der Literaturgattung düsterer Horror-Romane, der Gothic Novels, gab es den Namen. In Literaturklassikern dieses Genres wie Mary Shelleys Frankenstein, Bram Stokers Dracula oder in den Geschichten von Edgar Allan Poe wird oftmals ein besonders finsteres Mittelalterbild heraufbeschworen, um die Empfindungen des Lesers zu intensivieren und wohlige Schauer hervorzurufen. Was lag also näher, ein Spiel, das eine düstere Geschichte in einer archaischen Welt erzählen wollte, Gothic zu nennen? Übrigens: Mit der gleichnamigen modernen Jugendkultur und Musikszene hat das Spiel hingegen nichts zu tun.
„Der Startschuss für Gothic war, als drei Studenten bei Greenwood eine in Pascal geschriebene Rollenspiel-Demo vorstellten“, sagt Alex Brüggemann. „Die Demo erinnerte an Ultima Underworld und wir hatten große Lust ein Rollenspiel zu machen, weil wir alle RPG Fans sind und privat nicht wirklich die Wirtschaftssimulationen mochten, an denen wir bei Greenwood gearbeitet haben.“ Die drei Programmierer waren Ulf Wohlers, Dieter Hildebrandt und Bert Speckels aus Oldenburg, die dann auch gleich mit in die neugegründete Firma Piranha Bytes einstiegen und für den technischen Unterbau des Spieles sorgten.
Das Szenario des Spieles selbst ist schnell umrissen: In einem riesigen Freiluftknast, dessen magische Umgrenzung ein Entkommen unmöglich macht, kämpfen mehrere Gruppen von Gefangenen in einer zutiefst mittelalterlichen Welt um Einfluss und Macht. Drei Lager belauern sich mehr oder weniger offen, eifersüchtig auf die Wahrung ihrer Besitzstände und Interessen bedacht. Dort hinein wird ein weiterer namenloser Gefangener geworfen. Und ihm gelingt, was selbst den Magiern, die sie erschufen, unmöglich erschien: Die Sprengung der magischen Barriere und somit Freiheit für deren Insassen. Doch dies ist nur eine Art Nebenwirkung des Kampfes mit dem für Rollenspiele obligatorischen Endgegner.


Gestrichene Ideen

Im Laufe der Spieleentwicklung werden auch immer viele Ideen verworfen. Das war bei Gothic nicht anders. So sollte die Geschichte ursprünglich zu sehr großen Teilen in unterirdischen Höhlensystemen spielen (Ultima Underworld lässt grüßen!), die sich unter der ganzen Spielwelt entlang zogen. Auch die Zahl der Gilden war ursprünglich viel höher. Ideen für verschiedene Monster waren zum Beispiel Aasfresser, die dem Helden auf seinen Höhlenabenteuern folgten und sich über die Gegner, die er tötete, hermachten. Trolle sollten Goblins über Abgründe werfen, damit diese Feinde angreifen können. Aus dieser Konzeptphase stammt auch die Merchandising-Figur des Trolls mit einem Goblin in der Faust.
Gothic setzt neue Maßstäbe

Tatsächlich sollte sich Gothic von vielem, was Rollenspiele bisher auszeichnete, unterscheiden. Mehr Realismus war die Parole. Piranha Bytes verzichtete bei ihrem ersten Projekt auf umfangreiche Charakterstatistiken ebenso wie auf die komplizierte Verbesserung einzelner Werte, bei der der Spieler ohne Handbuchstudium nicht immer weiß, was für Vorteile genau dieser Wert eigentlich bringt. Gothic sollte also zugänglicher werden, weil man sich nicht mehr intensiv um die Pflege des eigenen Spielcharakters bemühen musste. Levelverbesserungen sollten intuitiver vonstatten gehen und sie sollten direkt in der Spielwelt geschehen, nicht auf irgendwelchen Verwaltungs-Bildschirmen mit Zahlentabellen.
Das geheimnisvolle Addon

Im Sommer 2001, wenige Monate nach Release wurde von Piranha Bytes ein Addon zu Gothic angekündigt. In Fanforen fragten die Entwickler nach Vorschlägen der Fans. Das Konzept sah vor, dass König Rhobar sich mittlerweile ins Minental begeben hat, um hier direkt an das wertvolle magische Erz zu gelangen. Nachdem die Mutterfirma von Piranha Bytes, Phenomedia, jedoch nach dem Platzen der Dotcom-Blase insolvent wurde, fand Piranha Byte mit JoWooD einen neuen Geldgeber. Dort wollte man keine halben Sachen machen und bestellte gleich einen ganzen Nachfolger. Gothic II war geboren. Dabei wurden alle Inhalte von Grund auf neu entwickelt und nichts aus dem angefangenen Addon übernommen. Das Addon wird somit für immer ein Geheimnis bleiben.
Zur glaubhaften Umsetzung dieser Idee trugen die Lehrmeister bei, NPC in der Spielwelt, von denen der Spieler im Dialog bestimmte Fertigkeiten erlernen konnte. Ganz ohne Schieberegler oder Menübedienung in einem Charakterfenster. Dies trug ebenso wie weitere typische Eigenschaften des Spiels zu einem phänomenalen Mittendrin-Gefühl bei, wegen dem die Spieler Gothic so sehr mochten. Ein zunächst noch rudimentäres Handwerkssystem, bei dem man direkt in der Spielwelt am Amboss ein Schwert schmieden und am Schleifstein schärfen konnte und danach auch tatsächlich ein geschärftes Schwert im Inventar erhielt, erhöhte den Realismus. Neu oder zumindest noch nie so konsequent umgesetzt waren auch die Tagesabläufe der NPC in der Spielwelt. Kaum ein NPC stand den ganzen Tag an der selben Stelle, alle gingen ihren eigenen Tätigkeiten nach und wechselten den Ort nach einem bestimmten Rhythmus. Wachte ein Buddler morgens in seiner Hütte im alten Lager auf, so wusch er sich als nächstes an einer Pfütze und stellte sich danach zu anderen NPC an ein Lagerfeuer, um etwas Lagerklatsch auszutauschen, um sich irgendwann abends wieder in seine Hütte zu begeben und zu schlafen. Derartiges Verhalten trug wesentlich zur Glaubwürdigkeit der Welt bei.
Crossmarketing und Merchandising

Um Gothic – immerhin das erste Spiel eines bis dato unbekannten Studios – bekannt zu machen, wurde auch auf sogenanntes Crossmarketing gesetzt, das heißt, auf medienübergreifendes Marketing. So wurde die Mittelalter-Rockband In Extremo kurzerhand als NPC-Kombo ins Spiel eingebaut, wo sie eine Version ihres Titels „Herr Mannelig“ performten. Umgekehrt fand sich im damals aktuellen Album „Verehrt und angespien“ ein Hinweis zu Gothic.
Auch ein Comic, der die Vorgeschichte des Spiels erzählen sollte, wurde in Auftrag gegeben und erschien im Sommer 2000. Heute erzielt er unter Fans bei Internet-Auktionen Preise von über 60 Euro. Selbst der Nachdruck vor einigen Jahren durch die PC Games ist mittlerweile für Sammler ein Wertobjekt.
Hinzu kam der dynamische Tag- und Nachtwechsel, der den Spieler das Vergehen der Zeit tatsächlich erleben ließ. Nachts konnte man sich in ein Bett legen und schlafen, um am nächsten Morgen erfrischt wieder aufzuwachen und sein Abenteuer fortzusetzen. Auch reagierten die NPC nachvollziehbar auf Aktionen des Spielers. Wer seine Waffe zog, musste mit entsprechenden Abwehrreaktionen seitens der NPC in der Nähe rechnen, inklusive den passenden Sprüchen.
Kämpfe waren nicht rundenbasiert oder indirekt steuerbar, sondern unmittelbar umgesetzt. Dieser actionreiche Ansatz war für Rollenspiele eher unüblich. Direkte Schwertkämpfe, die nicht im Hintergrund mit Würfelergebnissen berechnet wurden, war man eher aus Shootern mit Fantasy-Setting wie der Heretic/Hexen-Reihe von Raven Software gewohnt. Der direkte Ansatz führte auch dazu, dass weniger die erlernten Fähigkeiten des Spielcharakters ausschlagend waren, sondern mehr diejenigen des Spielers an der Tastatur,. Auch dies trug wiederum zu einem direkteren Erlebnis bei, denn schließlich hatte nicht die Spielfigur einen Gegner besiegt, weil sie soundsoviel Punkte in einem bestimmten Skill besaß, sondern weil der Spieler selbst geschickt genug gewesen war.


Gothic und die Fans

Nach seiner Veröffentlichung wurde das Spiel sofort ein großer Erfolg, rangierte einige Wochen lang auf den vorderen Plätzen der PC-Spiele-Verkaufscharts und schlug unzählige Spieler in seinen Bann. Die Fachpresse war begeistert und vergab Wertungen im mittleren bis hohen 80er-Bereich. Rüdiger Steidle schrieb damals im Test der PC Games „Gothic ist ein Eldorado für Rollenspieler, Entdecker und Abenteurer.“ und Jörg Langer urteilte: „Mega-Rollenspiel in riesiger Fantasy-Welt“ Auch andere Tester lobten das Spiel und bewerteten es besser als den damaligen Konkurrenten Ultima IX Ascencion – eines der damals seltenen Rollenspiele mit 3D-Welt, das jedoch viele Spieler etwas enttäuscht hatte.
Mud – Liebling und Hassfigur

Einen besonderen Scherz erlaubten sich die Entwickler mit der Figur des Mud, einem sehr anhänglichen NPC, der – einmal vom Spieler angesprochen – diesem ungefragt auf Schritt und Tritt folgte und ihn mit seinem Wortschall aus einfältigen Lebensweisheiten den letzten Nerv raubte. Als Helfer war er auch nicht zu gebrauchen, denn er lief schon bei harmlosen Gegner davon. Womit man ihn dann auch wieder los war. Mud erfreut sich bis heute einer gewissen ironischen Beliebtheit bei den Gothic-Spielern.
Nicht unerwähnt sollte bleiben, dass Gothic anfangs eine arge Bugschleuder war. Darunter auch zahlreiche Fehler, die ein Weiterspielen völlig verhinderten. Wichtige Torwinden ließen sich nicht mehr bewegen, storyrelevante Questgegenstände verschwanden spurlos aus dem Inventar, wichtige NPC starteten ihre Dialoge nicht, so dass die Geschichte nicht weiter voran schritt, auf einigen Grafikkarten ließ sich Gothic gar nicht erst spielen. Nach mehreren Patches hingegen wurde das Spiel zu einer runden Angelegenheit. Von den restlichen, kleineren Fehler wurden später viele durch Fanpatches ausgebügelt.
Denn eine Möglichkeit, selbst am Spiel Dinge zu verändern, bekamen die Fans, als einige Monate nach Release auch ein ModKit veröffentlicht wurde. Obwohl es sich mehr um eine rudimentär erklärte Sammlung an Entwicklertools handelte als um einen komfortablen Editor, fand sich eine bis heute florierende, große Modding-Community zusammen, die seitdem entweder neue Inhalte zu Gothic bereit stellt oder auf der Grundlage der Gothic-Engine gleich eigene Spielszenarien entwirft und veröffentlicht. Tutorials und Erklärungen wurden selbst entwickelt, auch eigene Werkzeuge und Programme der Community erweiterten die Möglichkeiten. So richtig aktiv wurde die Modding-Community dann mit dem Nachfolger Gothic II und dem Addon Die Nacht des Raben.

(Dieser Artikel entstand als Auftragsarbeit für ein Magazin des Computec-Verlages. Da dieser aber den Artikel aus unbekannten Gründen wohl nicht haben wollte, wird er nun passend zum Jubiläum hier veröffentlicht.)

geschrieben von Don-Esteban



Username:
Passwort:
angemeldet bleiben:

Fanart