Bote: Du hast auch den Fall von Medin durch eine politische Intrige erwähnt. Um was für finstere Ränke hat es sich da gehandelt? Und gibt es Hoffnung auf Rehabilitierung?
Medin: Da gab es so einen einflussreichen Adeligen: Lord Lothario Berengar von Trelisberg. Der war unzufrieden mit der einflussreichen Position, die Medin als langjähriger Oberbefehlshaber am Königshof innehatte. Also beschaffte er sich 2 Zutaten: Erzfeind und dunkles Geheimnis. Der Feind oder besser die Erzfeindin war in der Person der zwielichtigen femme fatale Redsonja schnell gefunden. Mit ihr war Medin schon öfter aneinander geraten. Schnell kamen die beiden ins Geschäft und halfen bei dem dunklen Geheimnis etwas nach. Dokumente wurden gefälscht, um nachzuweisen, dass Medin nach wie vor hochverräterische Kontakte zu seinem früheren Waffenbruder und Mitstreiter Draconiz unterhielt. Der war zu diesem Zeitpunkt längst Assassinenführer in Varant mit stark ausgeprägter Königsmörderambition.
Schließlich tauchten die Dokumente gut sichtbar auf irgendeinem Schreibtisch auf und Medin wurde auch noch dabei beobachtet, wie er sich in dunklen Gassen mit der Verbrecherin Redsonja herum trieb. Ein Prozess fand statt, ein Prozess wurde verloren und Medin wanderte in die Todeszelle. Durch Mithilfe einiger Freunde, die ich natürlich nicht namentlich erwähnen kann, gelang ihm die Flucht aus Vengard und über Varant nach Argaan. Dabei traf er auf Lord Jun Qel-Drôma, der ihm Asyl in seiner neuen Herrschaft in Gorthar bot und schließlich in einen neu geschaffenen Orden integrierte. Die Mitgliedschaft in diesem Orden schützt Medin im Augenblick auf Argaan quasi durch juristische Exterritorialität vor der Strafverfolgung durch Lord Hagens Truppen. Aber Rehabilitation ist zwingend erforderlich und wird gegenwärtig auch vorbereitet. Genaueres kann ich natürlich nicht verraten, sonst pfuscht der Feind dazwischen und Medin landet doch noch auf dem Schafott. Aber alte Bekannte werden dabei auf alle Fälle eine Rolle spielen und wer weiß, ob Medin wirklich besser aus diesem Vorhaben heraus kommt, als er hinein gegangen ist.
Bote: Das ist eine herrlich spannende Charaktergeschichte und ein gutes Beispiel dafür, was man alles im Rollenspiel aus seinem Charakter machen kann. Doch nicht nur solche - ich nennen sie - Metageschichten sind möglich. Es gibt auch zum Beispiel die Möglichkeit, an Quests teilzunehmen, um seinen Charakter einmal in ungewöhnlicher Umgebung zu spielen oder mit ungewöhnlichen Ereignissen zu konfrontieren. du hast selbst recht oft davon Gebrauch gemacht. Quests, an denen du teilgenommen hast, hören auf so klangvolle Namen wie "
Die Sage um Tyrien", "
Verlorene Seelen" oder "
Das Geheimnis von Amun Rer". Hast du noch Erinnerungen an diese Abenteuer? (Ich frage so vorsichtig, weil andere Interview-Parter bei diesem Thema schon die ersten Ausläufer der Demenz erreichten) Worum ging es dabei, welche Bedrohungen warteten und welche Erfahrungen winkten? Und wie liefen diese Quests ab? Waren sie straff organisiert oder eher chaotisch und nicht vorausgeplant?
Medin: Sehr geschickt, das den Questmod zu fragen. Ich habe eigentlich bei jeder Quest, die angemeldet wurde, darauf geachtet, dass da eine klare Grundplanung dahinter stand. Gerade als die Quests noch in ihrer Dauer auf 14 Tage beschränkt waren, brauchte man das, damit am Ende alle zufrieden wieder raus kamen und nix im Sand verlief. Hat auch meistens geklappt. Als Teilnehmer war es mir bei allen Quests immer wichtig, dass der Questleiter als Ansprechpartner erreichbar ist und zumindest eine Vorstellung davon hat, was passieren soll, damit man sich in den Rahmen mit eigenen Handlungen einbringen konnte. Und dann macht es halt richtig Spaß. Die meisten der Quests waren epische Geschichten. Schlachten um Königreiche, Kämpfe mit Dämonen oder bei den verlorenen Seelen der Gang in die Unterwelt. Auf Quests kann man die gewohnten Grenzen überschreiten, sowohl was den eigenen Charakter als auch die Umwelt angeht. Deshalb kommen da sehr ausschweifende, aufregende und auch effektreiche Geschichten heraus.
Aber manchmal auch sehr sonderbare oder grenzgängerische. Ich erinnere mich an eine Quest, auf der wir einem Traumdämon in die Hände gefallen sind, der uns auf eine sehr sonderbare Reise geschickt hat. Schon mal ein paar Paladine, Söldner, Magier und sonstige Halunken in einem Plattenladen in London gesehen? Tja, ist auch nicht passiert (oder vielleicht doch?). Aber eines haben Quests bisher fast immer geschafft: Eine große Portion der Kreativität aus den beteiligten Schreibern rauszuholen und zu einer lesenswerten gemeinsamen Geschichte zu formen. Daher war bisher auch jede Quest, bei der ich dabei war, ein echtes Erlebnis für mich.
Bote: Hehe, du spielst mit deinen Andeutungen auch auf weitere Quests, an denen du teilgenommen hast, an: "
Die Welt der Anderen", "
Die Schlacht um Khorinis" und "
Lilos interessante Reise".
Seit einiger Zeit hat ja die Questbegeisterung etwas nachgelassen. Was glaubst du, woran liegt das? Daran, daß die meisten derzeit aktiven Teilnehmer am Rollenspiel ihre Sturm-und-Drang-Phase, in der sie alles Mögliche ausprobieren wollten, längst hinter sich haben? Oder weil mittlerweile viele Ideen auch im normalen Rollenspiel ausprobiert werden können? Oder aus ganz anderen Gründen? Und denkst du, eine Beschränkung auf eine Dauer von 14 Tagen ist noch sinnvoll? (In der Praxis wird sie glaub ich sowieso nicht mehr so streng gehandhabt.)
Medin: Das mit der nach oben schnellenden "Alterskurve" im RPG ist sicher ein wichtiger Grund. Die meisten aktiven Rollenspieler waren schon auf mehreren Quests oder haben bei anderen Gelegenheiten viel erlebt. Die Motivation, etwas Neues selbst zu starten, ist da nicht so groß. Wenn die Quests nicht fundamentaler Bestandteil des eigenen Charakterkonzepts waren, kamen die Anmeldungen meist auch eher von noch nicht ganz so "alten" RPG-Teilnehmern. Das waren dann die Quests, bei denen viele mit kamen und Leute auch eingeladen, wenn der Charakter jetzt nicht unbedingt in die Truppe passte.
Aber an frischen Rollenspielern mangelt es uns ja bekanntermaßen und darunter leidet wohl die Questbeteiligung. Vielleicht liegt es auch daran, dass die RPG-Welt inzwischen sehr viele verschiedene Möglichkeiten bietet und man nicht unbedingt mehr eine Quest braucht, um ein größeres Vorhaben auch umzusetzen. Es gibt mehrere Königreiche, es gibt Sand- und Schneewüsten, es gibt Gebirge und tropische Strände, es gibt Inseln und Landmassen. Ich muss aber auch dazu sagen, dass ich immer die Meinung vertreten habe, dass Quests nur wirklich im Questforum stattfinden sollten, wenn sich das geplante wirklich nicht im normalen Rollenspiel realisieren lässt.
Denn eine Quest ist etwas abgeschlossene für die Teilnehmer, das auf den Rest des RPGs keinen Einfluss hat und wo der Rest des RPGs auch keinen Einfluss nehmen kann. Das heißt, dass dem RPG durch eine Quest auch Interaktionsstoff verloren gehen kann und deshalb fände ich es viel besser, wenn es mehr durchaus auch ausgefallene und epische Heldentaten im normalen RPG geben würde, als dass sich ein paar Leute auf eine neue Quest zurückziehen. Was die 14-Tage-Regel angeht: Ich glaube, viele Questschreiber brauchen ein klares Zeitlimit, um die Geschichte ordentlich voranzubringen. Sonst verlieren sie sich in den weiten Möglichkeiten, die sie haben, schreiben immer weniger und enden irgendwo an einem Punkt, wo sie die Schreibmotivation verlässt. Seit die 14-Tage-Regel abgeschafft wurde habe ich schon so einige Quests aus diesem Grund in der Inaktivität ihrer Schreiber ohne Abschluss entschlafen sehen.