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Von Ceron

"...und wenn sie nicht gestorben ist, dann lebt sie heute noch", schloss Ceron die Geschichte von der kleinen Magierin. Jil, welche die Geschichte schon bald besser erzählen konnte als ihr Vater war bereits auf seinem Schoss eingeschlafen und so blieb die Diskussion darüber, was die Magierin sonst noch alles hätte anstellen können, dieses eine Mal aus. Der Hüter des Kastells legte das Buch auf den nebenstehenden Pult und liess den Blick durch die verlassene Bibliothek schweifen. Oft hatte er in eben jenem Sessel gesessen als ihn der Schlaf übermannt hatte. Als Lehrling noch mit dem Kopf auf den theoretischen Abhandlungen der Magie, die olirie ihm zur Lektüre gegeben hatte. Als junger Magier waren es dann die unzähligen Alchemistenzeitschriften und Erfahrungsberichte gewesen. Mittlerweile konnte er dies auch gänzlich ohne Bücher.

Sein Kinn sank auf seine Brust, seine Stirn berührte jene seiner Tochter und während sein Atem sich beruhigte, wanderte sein Geist in ferne Welten. In der zweifellos schicksten Magierrobe schritt er zwischen den Regalen der Bibliothek hindurch. Dort wo sich sonst kaum je ein anderer Leser hin verirrte, begegnete einer sonderbaren Gestalt. Sie stand wie angewurzelt mitten im Weg und machte gar keinen freundlichen Gesichtsausdruck. Äusserlich hatte sie durchaus etwas von Angelina, wenn ihr Erscheinungsbild doch deutlich jünger wirkte. Eine hübsche Ablenkung, dachte er sich, als ihn plötzlich etwas wachrüttelte.

Erschrocken sah er um sich. Er brauchte einige Momente um festzustellen dass Jil es war, die ihn geweckt hatte. In seinem Kopf ertönte ein greller Schrei, doch die Lippen seiner Tochter waren geschlossen. Sie schaute ihn mit dem gleichen, gequälten Blick an wie die junge Schönheit aus seinem Traum. Das Kreischen wurde unerträglich sodass Ceron sich die Hände auf die Schläfen presste wie er es getan hatte, als die Worte der Dämonen ihm noch Kopfschmerzen bereitet hatten. "Was ist hier los?", rief er und presste die Augen zusammen.

"Hilfe!" erklang es.

"Hilf mir" flehte jemand verzweifelt.

"Ich brauche Hilfe"

Die Stimme klang als litte der Sprecher unter Höllenqualen. Der Hohepriester benötigte einige Momente um festzustellen, dass die Hilferufe nicht in seinem Kopf entstanden sondern über die Lippen seiner Tochter gekommen waren. "Du brauchst Hilfe?", fragte er Jil. "Ja, hilf mir!", antwortete seine Tochter unverzüglich.

"Wobei?"

"Ich habe ein fürchterliches Unheil angerichtet!"


"Du hast was?"


"Ich habe..."



Weiter hörte Ceron gar nicht zu. Er sah zwar, wie sich die Lippen seiner Tochter bewegten, doch sie sprach in einer Geschwindigkeit, die sogar die Verkäufer auf Bakareshs Bazar in den Schatten stellte. Er packte sie bei den Schultern und setzte sie auf den Pult. Dann presste er ihr seine Hand auf die Stirn, spürte jedoch keine Veränderung, die diesen Redeschwall hätte erklären können.

In seinem Magen bildete sich ein ganz fürchterlicher Klumpen. Seine Tochter hatte urplötzlich wie ein erwachsener Mensch zu sprechen begonnen. War sie das Opfer eines Dämonen geworden?