Von Olivia RabenweilSchweigend, nachdem Noxus sie so rüde dazu aufgefordert hatte, folgte sie seinen Ausführungen. Jedoch verstand sie nur die Hälfte von dem, auf das er hinaus wollte. Er wollte einen Orden gründen und damit Angst und Schrecken über Argaan bringen? Zu welchem Zweck? Nur um des Schreckens wegen? Das ergab doch keinen Sinn. Dann wollte er für diesen Drei-Mann-Orden groß die Propagandatrommel rühren, in dem er Angst und Schrecken verbreitete? Das erschien Olivia nicht als der schlauste Plan, wo doch ein ganzer Haufen Paladine, Feuermagier und anderweitig Innostreue am anderen Ende der Insel lagerten.
Noch befand sich die Insel in einem empfindlichen Gleichgewicht. Ethorn und Rhobar beäugten sich, umkreisten Sich und lauerten, wie zwei Tiger kurz vor dem Sprung. Doch auffällige Ritualmorde, oder was auch immer Noxus da bitte geplant hatte, würde die Großkatzen aufscheuchen. Wahrscheinlich nähme Rhobar den ersten toten Innosler zum Anlass dieses Verbrechen Ethorn anzuhängen, und Ethorn würde natürlich sofort die Besatzer dafür verantwortlich machen.
Olivia war sich durchaus darüber im Klaren, das Chaos ein Aspekt ihres verehrten Gottes war, doch sollte sich Chaos bestenfalls gegen Andere wenden und nicht gegen einen selbst. Natürlich konnte Niemand behaupten Chaos beherrschen zu können, dafür war es schließlich Chaos, Unbeherrschbarkeit lag hier im Kern der Sache. Doch sollte man, wenn man Chaos stiften wollte, es zu mindestens so planen, dass man nicht im Zentrum der Zerstörung landete. Und somit war dieses Vorhaben, hier auf der Insel äußerst grenzwertig, fand zu mindestens sie. Denn wohin würde sich die geballte Kraft der Zerstörung richten? Wahrscheinlich auf die ganze Insel, und wo lag der einzige brauchbare Hafen, um zur Not von besagter Insel flüchten zu können? In Thorniara, das Herz des Feindes auf Argaan. Außerdem wartete Rhobar doch nur auf einen Auslöser um die ganze Insel platt zu machen. Wenn er einen Angriffskrieg rechtfertigen konnte, dann würde er nicht davor halt machen alles auszugeben, was gegen die Ideologie Innos‘ stand. Und eine Lehranstalt Beliars stand dabei bestimmt ganz weit oben auf der Liste, von verabscheuungswürdigen Zuständen.
Olivia erinnerte sich an Vengard. Überall Militär, mehrere Kriegsschiffe im Hafen, Paladine… Wahrscheinlich würde alleine das stehende Heer der Hauptstadt Vengard ausreichen, um hier auf dieser kleinen Insel die entscheidende Wendung des Krieges zu bringen.
Sie empfand dieses ganze Vorhaben als ein Spiel mit dem Feuer. Natürlich sollte man im Leben etwas wagen, doch blind in sein Verderben rennen, würde Niemanden weiterbringen. Tot war man Beliar zwar am Nächsten, doch dienen ließ es sich ihm dann schlecht.
Doch Noxus schien sich seiner Sache sehr sicher. Anhand der Karten, Zeichnungen und Pläne, die er alle zusammengetragen hatte schloss Olivia darauf, dass er sich auf dieses Treffen nicht erst seit gestern vorbereitet hatte. Doch wie konnte man dann solche elementaren Dinge übersehen? Lag es an seinem Wahnsinn? War er so fixiert auf sein Ziel, dass er wesentliche Hürden einfach ausblendete?
Der Hass, der Innosanhänger auf Beliar, war allseits bekannt, so etwas konnte man doch gar nicht übersehen, oder? Noxus anscheinend konnte es.
Und dann die Sache mit dem Geld. Eine zweite unübersehbare Hürde. Woher bitte wollte er das bekommen? Das Land lag im Krieg, wahrscheinlich waren gerade im Königreich der Insel die Steuern so hoch, dass selbst die Reichen in Setarrif bereits am Hungertuch nagten. Wenn Noxus in seinem unbestreitbaren Wahn nicht gerade plante die Kriegskasse Ethorns aus dem Palast in Setarrif zu stehlen, dann sah das wohl in naher Zukunft schlecht mit großen Geldmitteln aus. Auch in Thorniara sollte es schwer werden an ausreichend Gold zu kommen. Natürlich gäbe es drei-vier reiche Adlige Familien – die ihrige war eine davon – doch auch die lagerten ihr Geld nicht grade unter dem Kopfkissen. Und nicht einmal Noxus konnte so verblendet sein und den Tempelschatz rauben wollen…
„…benötigen eine Menge Gold. Erpressungen, eventuelle Ausrüstung et cetera…“
Wofür brauchte man bei Erpressungen bitte Gold? Außer wenn man vielleicht welches an die Erpresser zahlen wollte. Wollte Noxus sich erpressen lassen?
Am schlimmsten war jedoch für Olivia der Gedanke, dass Noxus Exitus ihren Meister damit hinein ziehen wollte. Sie hoffte nur, dass er sich darauf nicht einlassen würde. Denn welcher Kopf hier auf Argaan war bitte so hoch dotiert, dass es sich lohnen würde sein Leben dafür aufs Spiel zu setzen? Ein Paladin in Thorniara? Wahnsinn, außerdem konnten die Adanosanhänger sowieso nicht zahlen. Ethorns Hofmagier in Setarrif? Verrückt, der ganze Tempel war absolut sicher abgeriegelt. Davon hatte sie sich überzeugen können, als sie damals durch Setarrif hindurchreiste.
Noxus Schlussworte unterstrichen dann endgültig die Abstusität seines Vorhabens! ‚Ich sehe mich keineswegs als Diktator, doch werde ich den Blutorden leiten, solange sich diese Frage geklärt hat. Bei triftigen Entscheidungen bitte ich um Absprache.‘ Hierarchie in einer anarchistisch gedachten Vereinigung, und zu allem Überfluss auch noch mit einem demokratischen System? Das war lachhaft und Olivia musste sich zusammen reißen, um nicht zu lächeln.
Noxus, Noxus, dachte sie, was hast du dir da ausgegrübelt…
Sein harter, kalter Blick war auf ihren Meister gerichtet. So kannte sie Noxus gar nicht. Er wirkte hochkonzentriert und mit all seinen grauen Zellen bei der Sache. Seine wahnsinnige Art hatte er zwar nicht abgelegt, doch sie hatte sich verändert. Dort wo er sonst flatterig und übergeschnappt wirkte, war er nun… gefährlich, gerichtet, chaotisch, aber gerichtet. Sein cholerisch-dramatisches Gehabe war einem berechnenden, skrupellosen Auftreten gewichen.
Olivia fühlte sich nicht wirklich wohl in seiner Gegenwart. Auch wenn er für sich wohl wusste was er tat, so war er für sie gerade unberechenbar. Vielleicht Gefährlich? Sie warf ihrem Lehrmeister einen kurzen, verunsicherten Blick zu. Hätte Meister Black nicht neben ihr gesessen, dann wäre sie längst gegangen. Zurzeit war es wohl besser, sich nicht in Noxus‘ Fokus zu befinden.
„Fragen?“ Seine Frage riss sie aus ihren Überlegungen.
Oh, ja Olivia hatte einige Fragen, doch sie schwieg.