Das letzte Türchen: 24

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Von Iolaus

Es klopfte an der Tür zur Kammer. Iolaus schreckte aus dem Halbschlaf hoch, wollte sich gerade verschlafen durchs Haar fahren, nur um murrend fest zu stellen, dass ebenjene gar nicht mehr vorhanden waren, seit er sie am Morgen abrasiert hatte. Er richtete eben seine Schlafbekleidung, räusperte sich und blickte sich dann einen Moment fragend nach seinen Kam(m)eraden um, die wie so oft, wenn irgendetwas passierte, nicht in der Nähe waren. Komische Käuze, aber umgänglich, da sie nie im Weg standen, wenn es wichtig war. Und wenn jemand um diese Uhrzeit klopfte, war es wichtig. Entweder ein höherer Novize, der einen über den Durst getrunken hatte und nun den Chef spielen wollte, oder – was Iolaus ehrlich nicht hoffte – ein Feuermagier.
„Herein“, krächzte er verschlafen und heiser, erhob sich und beugte sich dann zur Wasserkanne auf dem Tisch, um einen Schluck zu trinken. Als Tür sich öffnete und der späte Gast eintrat, trank der Adlatus gerade. „Einen guten Abend“, murmelte er, als er die Kanne absetzte.
„Nicht so förmlich, Bruder“
Eigentlich eine – in Ordenskreisen – ziemlich übliche Phrase, wenn man einen kollegialen Umgang führen wollte. Nicht aber, wenn die Stimme der Person, die die Worte sprach, erschien wie ein Geist aus der Vergangenheit. Denn das war sie quasi in diesem Falle. Dort stand kein Feuermagier, kein trunkener Novize oder Innos selbst, sondern dessen treuester Diener am Schwert, dessen Komet, der hinabstößt, um seine Feinde zu richten und das Böse zu bannen. In der Tür stand, groß und eindrucksvoll wie schon vor Jahren, Iolaus‘ Bruder. Kalian. Der Mann, nach dem er sich all die Jahre bei all den Vorgesetzten erkundigt hatte, nur um ein Lebenszeichen zu sichten. Und jetzt – nachdem Iolaus schon davon ausgegangen war, dass er der einzige lebende Teil seiner Familie auf Erden war – stand der Ritter da und lächelte ihn auf diese brüderlich-herablassende Art an.
Ein schiefes Lächeln war das Einzige, was der Adlatus zustande brachte.
„Nun“, sagte er langsam, „So eine Überraschung. Ich dachte ehrlich, du seist tot.“
„Und laut meinen Quellen warst du es sogar wirklich.“, kam die Antwort.
„Ja nun, wenn das Kloster im Norden gleichbedeutend mit Beliars Reich ist, war ich wirklich dort. Verzeih mir den wenig innosgefälligen Witz, Sir.“, sprach Iolaus nicht ohne eine gewisse Portion Spott in der Stimme. Seine Gefühlswelt war gerade nicht einmal für ihn selbst nachzuvollziehen. Natürlich war da die Freude über das Wiedersehen, die unendliche Erleichterung, doch nicht alleine zu sein. Aber gleichzeitig … war da etwas wie eine Schuldzuweisung. Als würde der stets ein Kind bleibende kleine Bruder in ihm dem Ritter dort vorwerfen, nicht für ihn da gewesen zu sein. Und irgendwie war er dies auch nicht gewesen.
„Keine warmen Worte, Bruder? Keine Umarmung, keine Freudentränen. Früher hast du doch jedermann damit geherzt. Nur oft die eigene Familie nicht, wie ich weiß.“
Io grinste nur schief. „Ja, früher war ich die Made im Speck, Khorinis noch schön, Myrtana noch in Orkhänden und Beliar besser dran, als er es jetzt ist. Heute bin ich ein bescheidener Diener der Kirche, Khorinis ist ein Sündenpfuhl, Myrtana das große Reich und Beliar knabbert vor Furcht an den göttlichen Fingernägeln.“, kam die Antwort, nicht unbedingt freundlich. „Was suchst du hier? Willst du sehen, dass aus dem miserablen Zweitgeborenen ein schäbiger Adlatus geworden ist? Willst du mir etwas von unseren Eltern mitteilen? Betrachten sie mich eigentlich noch als Sohn, als ihr eigen Fleisch und Blut? Oder bin ich endlich die Persona non grata geworden, womit mir Vater immer gedroht hat?“
Sein Bruder fuhr sich durch den Bart. Erst jetzt, im Halbdunkel, erkannte Iolaus, dass sein Bruder nicht gut aussah. Er wirkte abgehärmt, irgendwie verdreckt und sonderte keinen guten Geruch ab. Er stank nach Straße, Pferd und Urin. Nicht wie der Ritter, der strahlend aus der Schlacht heimkehrt, sondern der Verlierer, der panisch das Weite gesucht hat, um sein Leben zu schonen. Den Geruch hatte Iolaus bei den Zwangsrekrutierten zu oft gerochen. Er trug auch keine prächtige Rüstung, nein, er wirkte eher wie ein Söldner. Und von denen hatte Io auch mehr als genug auf dem Schlachtfelde gesehen, tot oder lebend. Orksöldner, die fraßen, was Orks schissen.
„Bruder“, begann er von neuem, leise, drohend. „Bruder, was ist passiert?
„Wir … haben verloren. Damals. Schon bei Faring, als der Hexenmeister kam und die Runenmagie verschwand. Ich … geriet in Gefangenschaft, schuftete in den Minen und hielt als Prügelknabe für Aufseher her. Die … die wussten, wie sie selbst den innosgefälligsten Geist brechen konnten, diese Hurensöhne. Aber sie gaben mir ein Schwert, einen Ring zum Kämpfen. Und Wein. Frauen. Gold. Das gefiel mir, nachdem ich doch alles andere verloren hatte. Irgendwann tötete ich bereitwillig für die Grünen. Schlachtete Sklaven, Rebellen, Bauern, Schuldige und Unschuldige … Es war … gut. Das Schwert übernahm die Kontrolle, ich zog mich zurück und ließ das alles nicht … an mich herankommen.“, sprach er mit leiser, brüchiger Stimme. Leise Spannung machte sich in Iolaus breit. Aus irgendeinem Grund ballte er die Fäuste … „Dann verloren wir. Eine Schlacht nach der anderen. Bald prügelten wir uns untereinander. Die Söldner, die vorher wie Brüder waren, standen nun bei Scharmützeln auf der falschen Seite der Klinge. Egal. Sie starben, ich lebte. Und dann kam der Sieg der Menschen. Innos‘ Sieg, ha. Aber ich verlor, obwohl ich sein treuester Diener gewesen bin. Ich trank noch mehr, wurde rehabilitiert und ging nach Vengard zurück, um irgendwas zu machen. Zu leben. Ehrlich und gut, unblutig. Da sah ich mein Weib mit einem anderen Mann, einem alten Kameraden. Verheiratet. Dachten, ich sei tot, also machte es ja nichts. Ich lauerte ihnen auf, tötete sie beide. Heulte, kotzte, trank, frohlockte. Danach ging es nach Khorinis und weiter nach Gorthar. War bei Vater und Mutter. Wir freuten uns, es war alles schön, bis Vater das Thema Krieg ansprach, von den großen Siegen wissen wollte, die ich errungen hatte. Ich trank und trank und trank … und prügelte ihn nieder, als er aufbrauste, weil ihm meine Antworten nicht passten. Sein glänzender Sohn, befleckt und verkommen. Wie du, sagte er. Ganz genau wie dein junger Bruder. Mutter schrie und schrie, die Hauswachen kamen hinzu … Gerangel, Schwerter wurden gezückt … sie … war irgendwie dazwischen. Am Ende stand ich in ihrem Blut, während Vater sich nicht mehr regte. Die Wachen waren tot oder verwundet, ich zündete das Haus an … verschwand mal wieder. Hier her. Zu dir. Ich hatte einen Kontakt damit beauftragt, was über dich heraus zu finden. Das tat er dann auch. Deshalb bin ich hier.“ Er lächelte hoffnungsvoll. „Du bist ein Diener Seines Willens, du kannst mir doch … Absolution gewähren. Bring mich hier unter, gib mir ein Heim. Nur für kurze Zeit, dann stelle ich mich vor Gericht, für das, was ich tat … Bitte, kleiner Bruder. Ich bitte dich … nur für kurz. Hach, das schöne Thorniara und euer Tempelwein, der gute süße …“ Kalian stockte, sah seinen Bruder fragend an. „Io?“
Die Knöchel knackten hörbar, die Schultern bebten. Das Gesicht eine starre, wutverzerrte Maske. Es war, als hätte sich all das Leid, der Hass, der Zorn der letzten Jahre, all die Entbehrungen und die Pein, die Iolaus hatte erfahren müssen, sich in seinen Zügen abgezeichnet wie Narben auf einem Krieger. Innos!, schrie er im Geiste, Innos! Nach all dem Wandern durchs dunkle Tal zeigst du mir jetzt, als ich den Aufstieg schaffe, dass es nur ein kleiner Hügel war, hinter dem noch tiefere Schwärze kommt?!
„Hey … Bruder, was ist? Ich weiß, das ist schwer zu …“
„Raus.“, sprach der kleinere Bruder mit solcher Bestimmtheit und Kraft, als hätte der Herr selbst ihm dieses Wort in den Mund gelegt. „Raus. Ich weiß nicht, welcher Wahnsinn dich trieb. Warum das Leben als Kakerlake dir höher erschien als der Freitod in Seinem Namen. Ich will es auch gar nicht wissen. Ich will nichts vom Tode deiner Frau wissen und dem unschuldigen Ordensbruder, den du erschlagen hast. Verrat des eigenen Ordens, der zweiten Familie! Mord an der eigenen Frau, dem Weib, dem du vor Innos Treue und Sicherheit gelobt hast. Das du jedoch die höchste Sünde auf Erden begehst, nämlich den Sippenmord … dafür … kann ich dich nicht einfach davonkommen lassen. Nicht, solange ich mein Leben in den Dienst an das Licht gestellt habe.“ Er trat einen Schritt vor, hob die Fäuste leicht an. „Du warst ihr ganzer Stolz. Wer bist du, sie so zu verraten? Den Mann zu schlagen, der dich zu einem guten und gerechten Ritter erzogen hat. Die Frau, die dich in Schmerz und Blut zur Welt gebracht hatte, die dir das gottgegebene Leben geschenkt hat?! Nein. Damit wirst du nicht davonkommen. Hatte ich doch bis vor kurzem noch das Gefühl, in einer Sackgasse zu stehen, zeigt sich, dass es nur ein Engpass ist, den ich überwinde um mein Ziel zu erkennen. Dich in Seinem Namen vor Sein Gericht zu stellen. Egal wo. Im kalten Norden, dem heißen Süden, dem kargen Westen oder dem fremden Osten. Du wirst bezahlen für deine Sünden und Innos wird dich ins Fegefeuer stoßen. Und wenn es sein muss, bringe ich dich dort höchstpersönlich hin …“
Es vergingen einige Augenblicke, in denen Kalian über die Tragweite der Worte nachdachte. Er schluckte, dann lächelte er böse. „Ich könnte dich ganz einfach hier umbringen …“
„Du bist zwar ein Schandfleck auf Erden, aber nicht der Mörder des Jungen, den du stets verteidigt hast. Den du als einzigen Ausweg im Blick hattest. Ich muss dich enttäuschen. Du warst für mich ein Vorbild, eine Ikone, strahlend und unerreichbar. Jetzt weiß ich, dass auch Ikonen in den Dreck geworfen werden können, dass man auf ihnen herumtrampelt und sie danach nur noch ein Schatten ihrer einstigen Pracht sind. Ich könnte damit leben … wäre da nicht der Sippenmord. Nein, Bruder, und wenn es Jahre dauert, aber dafür bringe ich dich zur Strecke. Das schwöre ich vor Innos‘, seiner Gerechtigkeit, dem Gleichgewicht Adanos‘ und dem Dunkel Beliars‘.“
Kalian legte die Hand auf den Griff seines Schwertes. Er schien eine ganze Weile zu überlegen, ehe er sich abwandte. Dabei bedachte er seinen kleinen Bruder mit einem Blick, der eine Spur Verzweiflung trug.
„Nun, Io, dann viel Glück dabei.“
Und damit verschwand der einstige Stern am Himmel eines kleinen Jungen, der sich immer bemüht hatte, ihm zu folgen, ohne zu wissen, dass das, was man am Firmament sieht, nur noch ein schwacher Glanz dessen ist, was es einstmals war.