Piranha Bytes hatte mit Gothic viele Menschen in eine fremde Fantasiewelt geführt, viele gute Kritiken geholt und eine solide Fanbasis geschaffen. Doch einigen Fans waren die Abenteuer aus Gothic irgendwann nicht mehr genug - und im Juli 2001, einige Monate nach der Veröffentlichung von Gothic, bekamen sie Gelegenheit, die Geschichte von Gothic mithilfe von Modifikationen auszubauen.
Anfangs war die Begeisterung für das Modkit allerdings sehr begrenzt - nur bereits erfahrene Entwickler konnten sich in die Wirren der Ordnerstruktur und in den Code von Piranha Bytes einarbeiten. Denjenigen, denen das gelangt, waren von der Handlungsfreiheit und den Möglichkeiten des Modkits begeistert. Zusammen versuchten einige Entwickler auch die Entwicklungsumgebung für Modifikationen zu vereinfachen und zu verbessern. Einer davon, Nico Bendlin, landete über Umwege sogar bei Piranha Bytes selbst und half bei Gothic II mit.
Einige Entwickler versuchten gemeinsame Projekte zu erstellen und auch wenn der ein oder andere ging, war im April 2002 das erste größere Projekt fertig: Die Gothic 1-Modifikation »Die Bedrohung«. Plötzlich bekamen die Modifikationen für Gothic wesentlich mehr Aufmerksamkeit. »Die Bedrohung« ersetzte die Story von Gothic durch eine völlig neue. Diejenigen, die es schafften die Modifikation bei sich zum laufen zu bringen, staunten über die Neuerungen von »Die Bedrohung«, Neuerungen wie gefärbte Rüstungen oder Dächer, neue Monster oder Tiere, neue Charaktere in der bisher bekannten Welt mit neuen, vertonten Dialogen und sogar völlig neue Level; auch wenn einige Fehler die Modifikation heimsuchten und die Modifikation wegen Zeitdrucks nicht ganz fertig gestellt wurde. Trotz großer Schwierigkeiten von Normalbenutzern die Modifikation bei sich überhaupt zum laufen zu bringen - es existierten zu viele verschiedene Gothic Versionen - bekam das Entwicklerteam einige Komplimente und Modifikationen wurden immer attraktiver. Das Projekt verlor allerdings einiges an Attraktivität im Angesicht von Gothic II, welches im November 2002 veröffentlicht wurde.
Der große Durchbruch für Gothic-Modifikationen kam erst mit dem Projekt »Diccuric«, welches im Februar 2002 nach über zwei Jahren Entwicklungszeit veröffentlicht wurde. Plötzlich berichteten sogar Spielemagazine wie die PC Action über die Gothic-Modifikation, welche die bis heute mit über 185.000 Downloads allein bei der World of Gothic wohl erfolgreichste Gothic-Modifikation ist - Tendenz steigend. In Russland wird Gothic sogar zusammen mit der kostenlosen Modifikation verkauft und ausgeliefert. Dank einiger neuer Programme wurde es auch einfacher für Normalbenutzer Gothic-Modifikationen zu installieren und zu benutzen - der Siegeszug der Gothic-Modifikationen begann. Und spätestens mit der Veröffentlichung des Modkits für Gothic II im April 2004 und der Erschaffung des Editing-Wikis, die eine Wissensammlung aller Modder darstellt, brach der Damm auch für Amateur-Entwickler, die gewillt waren, sich ein wenig in die Materie der Spieleentwicklung einzuarbeiten. Es entstand eine kleine, verschworene Gemeinschaft von Moddern und Mod-Liebhabern, die sich in einem eigenem Forum über die kostenlosen Modifikationen austauschten.
Die ersten, welche die Möglichkeiten des Gothic II-Modkits nach einigen kleineren Modifikationen ausnutzen waren Fizzban und Freddy. Anfangs noch alleine entwickelte Fizzban eine Fortsetzung für die Piraten aus dem Gothic II-Addon, später kam Freddy zu der Entwicklung dazu um Fizzban zeitlich zu helfen und zusammen erstellten sie die Modifikation »Piratenleben«. Die Modifikation hinterließ ein breites Echo in der Fachpresse und auch in der Gothic-Gemeinschaft. Die Anhänger von Gothic-Modifikationen wurden immer zahlreicher, so dass immer mehr Benutzer das Modifikationsforum und das Forum der Modifikationen-Entwickler stürmten.
Speziell erwähnt werden sollten auch die Entwickler in Ländern wie Polen und Russland, welche ebenfalls ständig neue Modifikationen entwickeln. Auch wenn die Kommunikation zwischen deutschen, polnischen und russischen Entwicklern nicht immer einfach war, bestand diese trotzdem immer und währt noch bis heute. Im Laufe der Zeit entstanden auch Seiten, die sich nur mit Gothic-Modifikationen beschäftigten, die wichtigste ist wohl Gothic-Vision. Zudem entstanden bisher zwei Moddertreffen, bei dem sich Modifikationen-Begeisterte im realen Leben treffen, miteinander reden und entwickeln konnten. Was die Faszination der Modifikationen ausmacht, können die Leute am besten selbst beantworten:Elderus: Ich habe damals mit den Modifikationen (den eigenständigen) angefangen, weil ich die Story der damaligen beiden Teilen auswendig kannte. Es war erfrischen mal eine kleine mod zu spielen, das Erfolgsgefühl zu haben, etwas durchgespielt zu haben, ohne, dass es drei Tage oder länger brauchte. [...]
Der Mentor: Ich spiele gerne Modifikationen, weil sie in der selben Welt von Gothic, die ich eigentlich schon hin und auswendig kenne, einfach nur eine andere Geschichte erzählt, oder ein anderes Szenario beschreibt und das finde ich so faszinierend. [...]
Shadowblade: Das beeindruckende an der Gothic-Moddingszene ist für mich ihre Standhaftigkeit. Seit inzwischen 8 oder mehr Jahren gibt es ständig neue Ideen, neue Modteams werden gegründet, neue Modifikationen erscheinen. Auch wenn manche Mods nie fertig werden ist es eine interessante Frage, wie es Gothic eigentlich schafft eine so kreative und fähige Modding-Community an sich zu binden. [...]
VarusBiker: [...] Das Sympathische hier ist vor allem das kein Modder Geld für seine Mods verlangt (verlangen kann). Es senkt die Hemmung und die Neugier überwiegt - es senkt die Erwartungen, wodurch man nur noch angenehm überrascht werden kann.
TazmanDevil: [...] Viele Modifikationen stehen in Sachen Qualität den Originalspielen in nichts nach. Man kauft also ein Spiel und bekommt mehrere Spiele gratis dazu. [...]
kushel_baer: [...] Ich kann mein Lieblingsspiel so verändern, dass etwas komplett Neues entsteht. Nicht nur, dass Dachtexturen geändert werden, sondern man kann praktisch ein eigenes Spiel erstellen, wer träumt nicht davon [...]
Sektenspinner: [...] Neben dem Team gibt es die Community. Eine Gemeinschaft der Forschenden? Eine Gruppe von Architekten? Ingenieuren? Künstlern? Wohl ein wenig von alledem. Sie ist klein genug, dass man den aktiven Teil persönlich kennt, aber groß genug um immer wieder für Überraschungen gut zu sein. Lang lebe die Modding Community!
Gothic Modding hat jahrelang einen wichtigen Teil meines Lebens ausgemacht und ich bereue keine Minute davon.
Bonne6: [...] Das tolle am Gothic-Modding ist eben für mich, dass ich eigene Ideen so umsetzen kann, wie ich das möchte. Geht mit anderen Spielen zwar auch, aber ich hab bei Gothic angefangen und bleib Gothic treu, ist leicht zu handhaben, vermittelt Grundlagen der Programmierung und man lernt immer neue Sachen dazu und durch Sachen wie Ikarus gibt's selbst nach Jahren noch ganz neue Möglichkeiten. [...] Eine tolle Sache ist auch die Teamarbeit. Hatten wir das erste Jahr über sehr große Probleme, so kann ich jetzt nur sagen, dass wir ein super Team sind und uns gut verstehen, fast wie eine große Familie (klingt komisch, ist aber so ). Auch wenn mal jemand ausfällt, wirft uns das nicht aus der Bahn, gibt genug alternative Sachen zu tun, irgendwer ist immer motiviert und zieht die anderen dann meistens mit. [...]
Leito: Angefangen hat bei mir alles mit dem Gedanken: "Wär doch schon irgendwie cool, wenn man Gothic mit seinen eigenen Waffen spielen könnte". Und aus dem einen Gedanken wurde dann ganz schnell eine Euphorie: [...] Das Faszinierende am Gothic-modding ist meiner Meinung nach die Ideenfreiheit. Seien es nun nur ein paar kleine Änderung bzw. Optimierungen am Hauptspiel, eine kleine Minimod, mit eigener Welt, Story, etc oder gleich ein Großprojekt, das fast dieselbe Spieldauer wie das Original hat. Alles ist hier möglich. [...] Ein besondere Verbindung zwischen der World of Gothic und Modifikationen entstand im Jahre 2007. Freddy kam auf die Idee das Weihnachtsgewinnspiel der World of Gothic mit einer eigenen Foren-Modifikation für die World of Gothic zu koppeln. Die anfangs noch für Weihnachten 2006 geplante Modifikation entwickelte sich zu solch einem großen Projekt, dass Freddy Hilfe bei mir, Milgo, suchte und wir zusammen die Forenmodifikation über das gesamte Jahr 2007 entwickelten und gerade noch zum Dezember 2007 fertig wurden. In der World of Gothic-Forenmodifikation konnte man einzelne Bereiche des Forums visualisiert besuchen und mit einigen der damaligen Moderatoren sprechen, welche viele Aufgaben zu erfüllen hatten und deren Charakteren teilweise von den tatsächlichen Moderatoren ihre Stimme geliehen bekamen.
Selbst nach über sieben Jahre nach dem Release von Gothic II werden immer noch fleißig Modifikationen gespielt und geschrieben - und wenn ich drauf wetten müsste, würde ich sagen, dass das auch einige Jahre so bleiben wird.
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