Die Gamescom öffnet heute für alle ihre Pforten. Bevor sich alle auf Arcania stürzen um es auszuprobieren, haben wir hier noch ein Interview mit dem Led-Designer von Spellbound André Beccu.

Mit Arcania: Gothic 4 steht diesen Herbst der vierte Teil der Gothic Reihe an. Diesmal wird das Spiel aber nicht von Piranha Bytes entwickelt, sondern von einem, auf dem Gebiet der Rollenspiele, neuen Studio - Spellbound. Also höchste Zeit für uns den Lead Designer André Beccu ein wenig auszuquetschen:

Hallo André, kannst du dich kurz vorstellen, und uns vor allem erzählen, seit wann du dich mit Arcania befasst?

Mein Name ist André Beccu, ich bin seit Ende 2008 bei Spellbound und dort als Lead Designer für die technische Seite des Game Designs zuständig.

Im Arbeitsalltag beschäftige ich mich grob zu gleichen Teilen mit dem Gesamtbild (z.B. Festlegung des gewünschten Spielgefühls im Fernkampf, Richtlinien für Quest-Design, durchgängige Spieler-Motivation in der Cleaved-Maiden-Region) und Details (etwa die Funktionsweise der Feuer-Zaubersprüche).
Die Geschichte des Spiels und die künstlerische Umsetzung liegen bei anderen Leuten.

Ich habe von Beginn meiner Zeit hier bei Spellbound an Arcania gearbeitet, hier und da natürlich auch ein wenig an anderen Projekten.

Vorher habe ich bei EA Phenomic als Level- und Game-Designer an Battleforge mitgewirkt.



Wann bist du zum ersten Mal mit dem Spiel Gothic in Berührung gekommen, kannst du dich noch an deine Gefühle erinnern?

An den genauen Moment kann ich mich leider nicht mehr erinnern. Ich weiß noch, dass so einige Spielbestandteile widersprüchliche Gefühle in mir geweckt haben – etwa die großartige Handlungsfreiheit mit ihren zahlreichen Möglichkeiten, (aus Power-Gamer-Sicht) recht ungünstige Entscheidungen zu treffen.
Insgesamt lässt sich meine persönliche Gothic- (und auch Risen-) Erfahrung darauf reduzieren, dass die erste Hälfte der Spielzeit (bis etwa Stunde 15) eine Art freiwillige lustvolle Selbstkasteiung ist, welche dann in der zweiten Hälfte in einen kaum zu überbietenden Machtrausch umschlägt. Das sage ich als Power-Gamer – eure persönliche Erfahrung wird sicher oft stark abweichen.


Du bist nicht von Anfang an bei der Entwicklung von Arcania dabei. Wie schwierig ist es in ein laufendes Projekt dieser Größe einzusteigen? Wo liegen Stolpersteine, was lief aus deiner Sicht besser als erwartet?

Die Hauptschwierigkeiten bei so einem Einstieg sind meiner Meinung nach zweierlei: Zum einen ist man enorm im Hintertreffen, was Wissen über das Projekt angeht. Sich all die dokumentierten und nicht dokumentierten Informationen zu beschaffen dauert eine Weile.
Zum anderen übernimmt man Verantwortung für Projektbestandteile, deren momentaner Status auf Entscheidungen basiert, bei denen man potentiell einen deutlich anderen Weg gegangen wäre. Sofern man bei diesen Entscheidungen bleibt, fehlt einem oft der Überlegungsprozess, der dazu geführt hat, was dazu führt, dass man Probleme in dem Bereich schlechter vorhersehen kann. Wenn man die Entscheidung hingegen revidiert, kostet es Zeit, den entsprechenden Teil des Projekts zu überarbeiten.




Bisher habt ihr ja noch keine Rollenspiele gemacht, Arcania ist somit euer erster Vorstoß in das Genre. Als wie schwierig empfandet ihr es, in einem Genre zu arbeiten, indem eine ganze Welt möglichst glaubhaft simuliert werden muss?

Jedes Genre stellt einen vor andere Probleme, wobei die Schwierigkeit, eine Welt zu simulieren, ein sehr westliches Phänomen ist.
Ein entscheidender Punkt ist, ob man erreichen will, dass die Welt sich echt anfühlt, oder ob die Welt tatsächlich der Realität gleichen soll. Ersteres basiert auf einer Mischung aus cleverer Bedienung der Phantasie des Spielers und Konzentration auf die wesentlichen Aspekte, die die Erfahrung ausmachen, während letzteres eher einer tatsächlichen Simulation nahe kommt.
Die Balance zwischen tatsächlicher Simulation und Fokus auf die entscheidende Erfahrung an sich zu finden war knifflig. Übertriebene Simulation führt oft dazu, dass die Spielerfahrung insgesamt leidet, weil man a) zuviel Entwicklungszeit darauf verwendet oder b) das Spiel an Stellen komplex wird, wo der Spieler es nicht erwartet. Zu wenig Simulation hingegen wird potentiell schnell langweilig, weil man schon bald alles gesehen hat. Wir haben überprüft, wie viel Simulation Arcania benötigt, um angesichts der Fortbewegungsrate des Spielers genügend Abwechslung zu bieten, und hoffen, die goldene Mitte getroffen zu haben.


Wie geht man mit dem Druck um, ein Spiel in ein bestehendes, von anderen geschaffenes Universum einzugliedern?

Mit einem bereits existierenden Universum zu arbeiten ist prinzipiell eine oft praktische Sache (dazu unten mehr). Der Druck, den man bei einer Eigenkreation sonst nicht in der Art hat, ist der, dass jeder an einem solchen Universum andere Dinge wertschätzt.
Wir haben uns bemüht, durch lange Diskussionen innerhalb des Teams und regelmäßiges Lesen von Previews und Foren einen guten Überblick zu erhalten, was das Gothic-Universum im Schnitt ausmacht. Anschließend haben wir analysiert, welche dieser Aspekte sich wie gut mit unserem Entwicklungsauftrag decken, und haben das Spiel entsprechend umgesetzt.


Rollenspiele gelten ja nicht umsonst als Königsdisziplin der Spieleentwicklung. Man benötigt nicht nur intuitive Spielmechanik und moderne 3D-Grafik wie in einem Shooter, Wirtschaftskreisläufe wie in einer Wirtschaftssimulation und eine wendungsreiche, spannende Story wie in einem Adventure, sondern auch noch Unmengen an möglichst interessanten NPC, verschiedenen Items, eine Spielphysik etc. pp. Habt ihr die Herausforderung am Anfang realistisch eingeschätzt? Wie war eure Herangehensweise?

Zuerst muss ich sagen, dass ich wie oben angemerkt nicht von Anfang an dabei war und dementsprechend die Anfangsphase kaum kommentieren kann.
Ich denke, die Wichtigkeit der in der Frage angesprochenen Aspekte hängt stark vom persönlichen Geschmack ab, woraus man bei Rollenspielen die Befriedigung zieht. Insbesondere die Bedeutung von Wirtschaftskreisläufen oder Spielphysik beruht auf der gewünschten Relation von »Erfahrung« zu »Simulation«.
Die Herangehensweise bei Arcania war (während meiner Zeit bei Spellbound), die verschiedenen Spielbestandteile nach Bedeutung für die Gesamterfahrung zu sortieren und für jeden einzelnen Bestandteil schließlich in der Reihenfolge zu entscheiden, wie komplex er umgesetzt werden soll. Das Kampfsystem als ein sehr wichtiger Spielbestandteil stand z.B. weit vor Handelssystem und Spielphysik und ist dementsprechend deutlich elaborierter.




War das Vorhandensein einer kompletten Spielwelt eher ein Hindernis, weil die eigene Kreativität nicht voll ausgelebt werden konnte oder eine willkommene Grundlage, um darauf aufbauen zu können?

Meine Erfahrung ist, dass ein Ansatz fast immer hilfreich ist, da jemand anders bereits sehr viel Zeit investiert hat, um möglichst viele Inkonsistenzen zu eliminieren (man arbeitet selten an einer Fortsetzung/Umsetzung für etwas, das keinen Erfolg gehabt hat!).
Ab und an gibt es Vorgaben, die miteinander in Konflikt stehen. Sofern man genügend Spielraum eingeräumt bekommt, diese Probleme zu lösen, würde ich persönlich sehr oft vorziehen, einen bestehenden Ansatz verfeinern zu dürfen.
Dazu muss ich allerdings sagen, dass mein Spezialgebiet System-Design ist, nicht Kreativität im künstlerischen Sinne, so dass Umsetzungen von anderen Medien oft relativ leicht sind, da es schlicht noch keine Vorgaben für Systeme gibt. Bei einem Computerspiel-Universum muss man die Entscheidung treffen, in welcher Ratio man die Erfahrung an sich oder die Mechaniken, die diese letztendlich erzeugen, beibehalten will.
Für Arcania haben wir uns z.B. dafür entschieden, einige grundlegende Mechaniken (etwa im Kampf) stark zu überarbeiten, um viel Abwechslung bieten zu können – trotzdem sollte natürlich ein im Vorgänger starker Gegner weiterhin Respekt einflößen. So wollen wir die unserem Empfinden nach entscheidenden Aspekte des Gothic-Universums weiter bedienen und zugleich Verbesserungen in spezifischen Bereichen möglich machen.


Nach welchen Kriterien wurde das Spielkonzept festgelegt? (Man sollte ein nach vorne gerichtetes Konzept haben, warum? Wieso kein klassisches Openworld wie in den alten Teilen?)

Diese Entscheidungen wurden im Hinblick auf die nun deutlich komplexere Zielgruppe (PC, aber auch Konsolen) getroffen. Unser Ziel ist, ein Spiel zu kreieren, das man auch größtenteils genießen kann, ohne sich intensiv mit Material außerhalb des Spiels zu beschäftigen oder die Vorgänger zu kennen.
Daraus ergibt sich hauptsächlich, dass das im Spielverlauf weniger wahrscheinlich sein soll, dass der Spieler aufgrund fehlenden Wissens eine für ihn ungünstige Entscheidung trifft bzw. Leistung erbringt und es eventuell sogar nicht bemerkt.
Die Welt ist also deshalb etwas linearer, weil die meisten Regionen für den Normal-Spieler sowieso viel zu schwer wären bzw. die Story gerade nicht voran treiben würden. Gleiches gilt für Konzeptdetails wie die Möglichkeit, freundliche viel zu starke NPCs anzugreifen – der Spieler hätte hier sehr wenig zu gewinnen, aber enorm viel zu verlieren.
Für Gothic-Experten allein, die sich auf dem Forum zuhause fühlen, wären derartige Änderungen selbstverständlich unnötig. Unser Auftrag ist jedoch, auch Neulingen eine gute Zeit zu bieten. Daher haben wir derartige Herausforderungen in andere Spielbereiche verlegt, etwa mehr Gegenstände für exotische Character-Builds gut versteckt oder Crafting-Pläne eingebaut, deren Materialien schwer aufzutreiben sind.


Wie wichtig ist die Vorgeschichte von Gothic für Arcania? Kann man es auch gut verstehen, ohne die alten Teile je gespielt zu haben?

Die Vorgeschichte wird in Videos so weit erläutert, dass sie für Neulinge verständlich ist. Interessierte Spieler können sich in optionalen Gesprächen mit NPCs weiter informieren.
Gothic-Experten werden mehr über die Hintergründe von Vorkommnissen und Personen wissen, als in Arcania transportiert wird, was ihnen zusätzlichen Einblick in die Motivationen diverser Charaktere und Fraktionen geben wird.


Wie muss man sich die Entstehung euer Arcania-Story vorstellen? Es wurde ja öfter mal von losen Enden, die nun verknüpft werden, gesprochen. War die Entwicklung der Story eine Art Detektivarbeit, bei der man Hinweise in den Vorgängern finden und zusammenstellen musste? Oder habt ihr euch recht frei entfalten können bei eurer Story und einfach nur hier und da spielerisch vorhandene Verknüpfungspunkte benutzt, um eure Geschichte ins Gothic-Universum einzubetten?

Für Story-Details bin ich leider der falsche Ansprechpartner. Was die Detektiv-Arbeit angeht, kann ich daher nicht kommentieren. Ich kann bestätigen, dass die Hintergründe der Story grundlegende Teile des Gothic-Universums vertiefen – etwa bezüglich der Mächte, die im Hintergrund die Fäden ziehen.

Was waren für euch wichtige Design-Marksteine der Vorgängerspiele, die unbedingt erhalten bleiben sollten?

Ich denke, die Grundbausteine waren a) eine raue, konsistent und bewohnt wirkende Welt, b) spannende Kämpfe, c) der Start als Niemand, d) die Bedeutung von Freunden, Gefallen und Zugehörigkeit und e) die Entdeckung interessanter Orte und Menschen, Kreaturen und Schätze.

Der neue Held wird ja in unserem Forum nicht so sehr bejubelt, man macht sich lustig über seine Tolle. Was war euch bei der Gestaltung des neuen Helden wichtig, woran habt ihr das Aussehen fest gemacht?

Für uns waren diverse Punkte wichtig: Zum einen sollte der neue Held rau genug aussehen, um in einer Gothic-Welt glaubhaft Bestand haben zu können. Zum Anderen aber sollten Spieler, die den Gothic-Stil nicht schon lange gewöhnt sind, sich auch von Beginn an gut mit ihm identifizieren können.
Zudem wollten wir einen starken Kontrast präsentieren zwischen dem Beginn des Spiels, wo alles noch in Ordnung ist (gut für einen schnellen Einstieg und Motivation des Spielers), und dem Rest der Geschichte, der deutlich düsterer ist. Der Held musste dementsprechend in beiden Welten gut existieren können, konnte also z.B. nicht glaubwürdig von Beginn an ein harter Raufbold sein.
Um einen derartigen Helden kreieren zu können, haben wir uns intensiv mit allen möglichen starken Charakteren beschäftigt, die in den letzten Jahren über Monitore und Leinwände gerannt sind, und haben deren Eigenschaften analysiert. Was gepasst hat, haben wir in den Helden einfließen lassen, bis wir mit ihm zufrieden waren.



Was macht Arcania für dich aus?

Für mich ist Arcania eine Action- und Taktik-reiche Erfahrung, in der man einen Niemand verkörpert, der neue Freunde findet, zum machtvollen vielseitigen Helden heranwächst, schließlich die Welt rettet und auf dem Weg dahin allen Trotteln auf die Klappe haut, die es wagen, ihm auf die Füße treten.
Behaltet dabei aber im Hinterkopf, dass das ist, was Arcania für MICH ausmacht. Wir haben hier auch Leute, für die Arcania ausmacht, dass man sich einen Teller Suppe kochen und den dann am Strand bei Sonnenuntergang genießen kann.


Wird Spellbound auf der GamesCom vertreten sein?

Spellbound selbst wird keinen Stand haben, doch ich gehe davon aus, dass Jowood Arcania angemessen präsentieren wird.

Werdet ihr Arcania 2 programmieren?

Derzeit kann Spellbound noch nichts dazu sagen, welches Projekt als nächstes angegangen wird. Weitere Arbeiten am Gothic/Arcania-Universum sind auf jeden Fall im Bereich des Möglichen.

Wie hätte Arcania ausgesehen, wenn du das Game Design nur für dich selbst, nach deinem Geschmack hättest machen dürfen?

Da ich Power-Gamer und System-Designer bin, kein Auge für Grafik habe und die Grund-Idee des Gothic-Universums gerne mag (Gilden, mächtig werden, Entdeckung etc.), wäre ein solches Arcania dem bald im Laden stehenden ziemlich ähnlich, nur hätte es die Grafik von 2001 und dafür mehr Quests, Zaubersprüche, Fraktionen und kleine Mechaniken, welche man mit den dadurch frei werdenden System- und Arbeitsressourcen hätte kreieren können

geschrieben von meditate


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