"Die Community war für mich eine sehr starke Quelle an Energie und Zuspruch, die mir sehr geholfen hat, denn wenn das ganze Team unter Druck ist, ist das Ausstrahlen von gegenseitiger Anerkennung eines der ersten Dinge, die unter die Räder kommen. Die Community hat da Ausgleich für mich geschaffen. Sie hat sich gefreut, wenn ich mich beteiligt habe, sie hat mir Feedback und das Gefühl gegeben, zu wissen, wofür ich das eigentlich alles tue."
WorldofGothic: Wie bist du damals zu Piranha Bytes gekommen? Du warst ja noch sehr jung, trotzdem waren sie wohl beeindruckt genug von dir, dich die Musik zum Spiel machen zu lassen.
Rosenkranz: Ich habe eigentlich schon seit ich meinen ersten Computer bekommen habe – das war ein C64 ungefähr 1988/89 – angefangen, mich für Computerspiele zu interessieren. Und als Maniac Mansion herauskam und ich das gespielt habe, habe ich danach den Entschluss gefasst, selber Spiele zu entwickeln. Und seitdem habe ich kleinere Projekte gemacht. Dann hab ich 1995, also mit 15 Jahren, mit einem Kollegen zusammen eine Firma gegründet. Ich war zwar noch nicht volljährig, weswegen ich noch nicht alles übernehmen konnte, aber wir haben dann zu dritt an einem Produkt gearbeitet. Ich war hauptsächlich für Spiele zuständig und meine beiden Kollegen haben sich mit Anwendungs-Entwicklung beschäftigt. Wir haben Bürosoftware programmiert, zum Beispiel Etikettendrucker-Software oder auch zum Beispiel Tutorial-CDs für den Umgang mit dem Internet. „Datenhighway Internet“ hieß die, so etwas war damals ja noch ein neues Thema.
Und ich hab in der Zeit angefangen, eigene Spiele zu entwickeln, beispielsweise eine PC-Umsetzung von Tamagochi. Cybergochi hieß das damals, davon hab ich zwei Versionen programmiert und auch alles andere dafür gemacht. Danach habe ich mit dem ersten eigenen großen Spiel angefangen. Das war auch ungefähr 1995/96. Das Spiel hieß Subworld. Es sollte eine Mischung sein aus UFO: Enemy Unknown und X-COM: Terror from the Deep, also Echtzeitstrategie. Ich habe sehr viel Zeit in das Projekt investiert, auch die Musik habe ich selbst gemacht, alles programmiert, die Grafik ebenfalls selbst erstellt. Und dann hab ich 1997 von Gothic gelesen.
Ich war damals Konsument fast aller erhältlichen Spielezeitschriften – und ich glaube, in der PC Games war der erste Artikel, den ich gelesen habe. Er begann mit den Worten “Das Bochumer Spieleunternehmen ...“ oder so ähnlich. Ich habe damals selbst in Bochum gearbeitet und bin ja auch selbst Bochumer und dachte mir „cool in Bochum“. Ich stand zu der Zeit anderthalb Jahre vor dem Abitur und dachte mir „okay, ich möchte gerne Spiele entwickeln, da schau ich mich mal in der Branche, wie das so ist und versuche, mit Leuten aus dem Bereich zu reden und ein bisschen Erfahrungsaustausch zu machen“ – wobei ich da ja gar nicht viel Erfahrung hätte beitragen können, das wären also eher so eine Art Kurzbesuche mit Interviews der Leute geworden, damit ich mir zur Festigung meiner Berufsvorstellungen und um mich da innerhalb des großen Feldes der Spieleentwicklung zu orientieren, ein Bild machen kann. Ich war dann bei Blue Bytes, die damals noch in Mülheim beheimatet waren. Die haben gerade an Incubation gesessen, wenn ich mich richtig erinnere, oder waren gerade fertig damit.
Und auch bei Piranha Bytes habe ich angerufen und hab mich am Telefon mit Tom Putzki unterhalten, ihm erzählt, dass ich gerne sehen will, wie das ist, Spiele zu entwickeln und ob ich nicht mal für einen Tag vorbei kommen könnte. Ich bin also bei Piranha Bytes vorbeigefahren, hatte da auch schon ein wenig dabei, um mich vorzustellen, aber eigentlich gar nicht vor, mich da jetzt zu bewerben. Ich hab mir das Projekt angeschaut und fand die Leute alle supernett und meinte dann, dass ich gerne mitmachen würde. Und es hat sich dann herausgestellt, dass es für den Audio-Bereich als einzigen noch niemanden gab. Und da ich zu der Zeit in meiner Firma ja alles gemacht habe, dachte ich mir, dass ich mich auch auf den Audio-Bereich spezialisieren könnte. Hätte ein anderer Bereich noch brach gelegen, dann hätte ich mich dann wahrscheinlich auf diesen spezialisiert.
WorldofGothic: Womit hast du denn genug Eindruck hinterlassen? Innere Überzeugung oder hattest du auch ein Portfolio, dass du vorzeigen konntest?
Rosenkranz: Ich habe ein Paket zusammengestellt und habe dort meine ganzen Soundtracks für mein Spiel Subworld und auch noch Musik, die ich privat gemacht hatte, reingepackt. Daraufhin habe ich einen Testauftrag für ein halbes Jahr bekommen. Den Vertrag musste noch mein Vater unterschreiben, denn ich war ja noch immer nicht volljährig. Wir haben auch an der Musik zusammen gearbeitet. Ich habe mich in die ganze Technik reingefuchst. Bis dahin hatte ich mit Programmen wie Cubase als Sequenzer-Software gearbeitet. Aber noch nicht mit DirectMusic Producer, dem interaktiven Musiksystem, das in Gothic zum Einsatz kommen sollte. Damit habe ich dann in dem halben Jahr gearbeitet und aufgrund der Ergebnisse dann auch eine feste Zusage bekommen.
Ich habe dann schon bei Piranha Bytes gearbeitet, während ich noch am Abitur gesessen habe. Das war natürlich etwas kompliziert vom Zeitmanagement her, aber es hat einigermaßen geklappt. Ich weiß zwar nicht, ob meine Arbeitsergebnisse damals schon für mich gesprochen haben, aber auf jeden Fall war ich mit ganz viel Enthusiasmus dabei und habe in der Zeit ganz viele Inhalte erstellt für das Spiel.
WorldofGothic: Kennst du die Edgar-Werbepostkarte, mit der nach einem Soundtrack-Macher gesucht wurde? (Link zum Foto der Werbepostkarte kann ich dir am Sonntagabend schicken, bin grad nicht zu Hause und hab keinen Zugriff darauf.)
Rosenkranz: Die kenne ich tatsächlich, aber nicht zu diesem Zeitpunkt. Die Karte war wahrscheinlich dafür gedacht, auf irgendwelchen Veranstaltungen, Spielemessen und so weiter verteilt zu werden. Vielleicht sollte sie auch mit anderen Produkten von Egmont Interactive mitgeliefert werden.
WorldofGothic: Hattest du eigenes Technik-Equipment, das du benutzt hast oder konntest du dir durch Piranha Bytes eine Art Studio einrichten? Was war damals so State-of-the-Art? Welche Hard- und Software hat man verwendet?
Rosenkranz: Ich hatte zwar schon ein bisschen was, aber im Grunde hab ich eher auf ganz kleiner Flamme gekocht. Ich hab mir dann zusammen mit Piranha Bytes etwas eingerichtet. Wir haben damals ein relativ neues, frisches Musiksystem ausprobiert als Teil von Direct X. Das war DirectMusic oder DirectSound, das zu diesem Zeitpunkt von MicroSoft auf den Markt gebracht wurde, um Spieleentwickler zu unterstützen. Ich habe also DirectMusic und die damit verbundene Produktionsumgebung: DirectMusic Producer genutzt. Also selbst wenn ich selbst schon alles gehabt hätte, hätte ich dann trotzdem auf diese neue Technik umziehen müssen. Für das Sounddesign habe ich zwar tatsächlich noch mit der gängigen Software gearbeitet. Ich hab das meiste Sounddesign in Cubase gemacht und ein bisschen in WaveLab (beides von Steinberg).
Aber für die Musik war ich auf den DirectMusic Producer festgelegt und dort war das Interessante, dass die Musik zur Laufzeit, also während des Spielens auf dem Rechner des Spielers erst zusammenmischt. Das sind dann ganz viele Sounds, einzelne Töne, von Violinen, Klavier, Bläsern und was ich noch alles verwendet habe. Einzelne Noten wurden als Audiodatei mitgeliefert und das Spiel hat sie dann zur Laufzeit sozusagen performed auf Basis meiner Midi-Dateien, die mit dem Spiel mitgeliefert wurden. Deswegen konnten wir keine fertigen Songs produzieren, sondern mussten ganz viele einzelne Puzzleteile mit dem Spiel ausliefern. Dementsprechend klein mussten auch die Soundbibliotheken sein. Das heißt, dass ich nicht zu große Audiodateien pro Instrument erstellen durfte. Auch bei Sachen, bei denen man gerne hinterher noch etwas Feinschliff betreiben möchte, wie zum Beispiel bei Halleffekten, musste ich die eine Option verwenden, die der DirectMusic Producer mitlieferte.
WorldofGothic: War das für Gothic verwendete Miles Sound System damals in Spielen die übliche Art für die Einbindung von Sounds oder war das eher eine ungewöhnliche Lösung? Wie seid ihr darauf gekommen?
Rosenkranz: Ja, das war durchaus üblich. Das Miles Sound System ist ein Low-Level-Soundsystem. Es ist keine komfortable Soundentwicklungsumgebung, sondern setzt auf der untersten Ebene des Engine-Codes eine kleine, komfortable Schicht oben drauf, so dass man als Spieleentwickler nicht direkt einen eigenen Audio-Treiber programmieren muss, sondern schon ein bisschen Komfort hat. Damit arbeitet man aber nicht direkt, sondern die Engine hat das Miles Sound System implementiert und mir Editoren zur Verfügung gestellt, mit denen ich arbeiten konnte. In erster Linie Text-Dateien, in die ich Sound-Effekte eingetragen habe.
WorldofGothic: Immer wieder berichten Gothic-Fans von einzelnen markanten Sounds aus der Gothic-Musik, Trommeln, Rabenkrächzen, Flötentöne … die sie an völlig anderen Stellen, in Werbespots, Trailern, Filmen, wiederentdecken. Immer wieder witzig. Das sind wahrscheinlich alles Soundschnipsel aus Datenbanken, die weit verbreitet waren. Wie üblich war und ist es, mit solchen Versatzstücken aus Soundbibliotheken zu arbeiten?
Rosenkranz: Es gibt einerseits die Soundbibliotheken im Musikbereich, zum Beispiel Bibliotheken für komplette Instrumente, die man sich reinladen und dann auf seinem Keyboard spielen kann, aber auch einzelne Sounds für einzelne Percussion-Schläge oder Flötensounds und so weiter. Von diesen Sound-Libraries habe ich einige verwendet. Die sind eben auch in anderen Produktionen zum Einsatz gekommen. Dieses Vorgehen ist gang und gebe, bei bestimmten Sounds fällt es mehr auf als bei anderen, einfach weil die so markant sind wie zum Beispiel einzelne Flöten-Passagen oder Blasinstrument-Passagen im Sumpflager oder in der Nähe des Maya-Tempels im Addon – das sind so ganz markante Sounds gewesen, die auch schon an anderen Stellen mal aufgetaucht sind.
Dann gibt es noch die Soundbibliotheken im Soundbereich selbst. Da hab ich auch einige von verwendet. Vieles ist auch selbst aufgenommen, vor allem für Gothic 3. Im Tonstudio so richtig mit Foley-Material (Geräuschmacher-Utensilien), aber der Großteil besteht immer noch aus Sound-Libraries.
WorldofGothic: Hatten die Erfinder des Spiels besondere Vorstellungen, wie sie die Musik haben wollten? Haben sie dir bestimmte Beispiele gegeben? Oder warst du sehr frei in deinem Schaffensprozess und konntest vor allem eigene Ideen verwirklichen?
Rosenkranz: Wir haben sehr viel über konkrete Vorstellungen der Entwickler gesprochen, allerdings nie in Form von Musikvorgaben. Da ging es immer darum, welche Funktion bestimmte Locations oder Situationen im Spiel erfüllen sollen, wie soll die Stimmung sein, welche Emotionen sollen hervorgerufen werden. Auf dieser Ebene gab es sehr konkrete Vorgaben, vor allem bei Mike, der die Rolle, die bestimmte Locations für den Spieler und für das Spiel spielen sollten, extrem gut im Kopf hatte. Ansonsten war es immer so, dass sich auf Basis dieser Vorgaben, die sie zusammen setzen aus Gesprächen aber auch viel Konzeptzeichnungen und frühe spielbare Prototypen. Aus diesen Vorgaben ging es dann immer für mich darum, von Null auf neues musikalisches Material und neue musikalische Ideen zu entwickeln. Und der Feedbackprozess setzte dann danach ein, das überprüft wurde, ob diese Musikvorschläge von mir auch aus Sicht der Entwickler den gewünschten Effekt erzielen und wenn nicht, dann wurde eben nochmal nachgebessert. Ansonsten hatte ich da völlige Freiheit.
WorldofGothic: Gab es bei den Soundtracks, die du für die verschiedenen Spiele von Piranha Bytes komponiert und arrangiert hast, schwierige Stücke, an denen du überdurchschnittlich lange gesessen und gefeilt hast, bis alles passte? Oder ganz einfache, bei denen es dir besonders leicht viel, sie zu erstellen?
Rosenkranz: Es gab durchaus schwierige und weniger schwierige Stücke, das lässt sich aber nicht an bestimmten Kriterien festmachen, sondern passierte immer ganz individuell. Das hängt natürlich immer von der eigenen Tagesform ab, wie gut man gerade in der Lage ist, die kreativen Energien zu aktivieren und zu nutzen. Dadurch hab ich für bestimmte Musikstücke durchaus mehrere Anläufe gebraucht und andere waren dagegen direkt beim ersten Mal schon sehr nah dran am Endergebnis. Da gibt es ja auch diese „From scribble to final“-Mix-Videos auf meinem Kanal, die an drei Beispielen aus dem Gothic 3-Soundtrack quasi schon das erste Geklimper zeigen und wie es dann zur fertigen Musik geworden ist. Und wenn die erste Idee schon ins Schwarze trifft oder zumindest nahe dran ist an meiner Vorstellung der gewünschten Emotion und Atmosphäre, dann geht es von da aus meistens auch sehr schnell. Also das, was lange dauert, ist das Entwickeln einer musikalischen Idee, die Umsetzung geht mir dann meistens recht gut von der Hand.
WorldofGothic: Wie würdest du heute die Erfahrung sehen, die du mit der Einspielung des Soundtracks zu Gothic 3 gemacht hast, als die Aufnahmen durch ein echtes Orchester erfolgten? Würdest du jederzeit wieder, wenn sich die Gelegenheit ergibt, eine solche Produktion starten?
Rosenkranz: Ich würde sowohl aus musikalischer als auch aus persönlicher Sicht sofort jederzeit wieder mit einem Orchester zusammenarbeiten, weil das ein gigantisches Erlebnis ist und nach wie vor eines meiner persönlichen Karriere-Highlights darstellt. Zu hören, wie so viele Musiker – bei Gothic 3 waren es die 66 Musiker des Orchesters plus zwei Chöre plus die Trommler aus Japan plus Soloinstrumentalisten und -gesang – das, was man selber geschrieben hat, zum Leben erwecken, das ist einfach unglaublich.
Aus der Sicht eines Game-Komponisten, wo die Musik ja auch eine gewisse Funktion im Spiel erfüllen muss, würde ich mir das gut überlegen, denn wir haben ja nicht ohne Grund bei Risen dann wieder ein, zwei Gänge runter geschaltet. In Gothic 3 ist die Musik eben auch sehr dominant und zieht die Aufmerksamkeit des Spielers stark auf sich. Auch das Problem, dass einige Musikstücke immer wieder gespielt wurden, weil einfach nicht genug musikalisches Material für ausreichende Varianz vorhanden war. Das waren Erfahrungen, die wir gesammelt haben und die dazu geführt haben, dass die Musik bei Risen wieder komplett synthetisch, mit virtuellen Orchestern umgesetzt ist und im Vergleich zu Gothic 3 auch deutlich seichter und hintergründiger ausgefallen ist.
Das heißt, je nachdem, welche Funktion die Musik im Spiel übernehmen soll und wie gut wir in der Produktion mit einem Orchester eine ausreichende Länge des Soundtracks gewährleisten können, würde ich weiterhin sagen, dass Orchestersoundtracks die beste Wahl sind, um wirklich emotionale Performances hinzukriegen. Wenn es jedoch das Risiko gibt, dass es entweder zu vordergründig oder zu wenig Musik ist, würde ich mich eher für einen anderen Weg entscheiden.
WorldofGothic: Neben der Musik hattest du ja auch andere Aufgaben bei der Erstellung des Spiels übernommen. Was war das alles?
Rosenkranz: Ich hatte seit Gothic, von Anfang an, immer die Aufgabe, den kompletten Audio-Bereich zu machen, also Musik und Sound. Und ich hab zusammen mit Mike auch die deutsche und englische Sprachregie mitgemacht bei den Spielen bis Gothic 3 jedenfalls, bei Risen dann aber nicht mehr. Ansonsten habe ich einzelne 2D-Grafiken erstellt. Menürahmen, -hintergründe und der gleichen. Dazu die visuellen Spezialeffekte, also alles aus dem Bereich Magie-Effekte, Wasserspritzer, Rauch, Feuer und dergleichen ist. Ich hab die Webseite damals gebaut und betreut. Das gilt für Gothic bis Gothic 3 und die Community ein bisschen mitgemacht. Und natürlich Tool-Entwicklung. Dazu gehörte die Software, mit der wir die Daten gesammelt und ins Spiel implementiert haben, FlexIntegrate hieß das damals. Ich habe mein eigenes Animatons-Tagging-System gebaut, mit dem ich die Animationen des Spiels abspielen konnte, um die Sound-Effekte, wie zum Beispiel Kreaturen-Fußstampen an die richtigen Frames anhängen konnte. Das Navigationssystem, mit dem die Navigation in Gothic 3 getestet wurde und noch einige andere kleinere Dinge.
WorldofGothic: Was waren deine Einflüsse bei der Erstellung des Gothic-Sounds? Hattest du Vorbilder? Sollte die Musik ähnlich wie bestimmte Sachen aus anderen Spielen oder Filmen klingen (natürlich ohne sie zu kopieren – aber inspiriert davon)?
Rosenkranz: Ich hatte bei den ersten beiden Gothic-Spielen keine Vorbilder. Ich hatte mich da eher an den Sachen orientiert, die ich mir selber bis zu diesem Zeitpunkt musikalisch, experimentell für mich sozusagen als Stil erarbeitet hatte und habe das fortgesetzt. Bei Gothic 3 weiß ich noch, dass die Kombination von Taikos, also den großen japanischen Trommeln zusammen mit dem Gesang von Lisbeth Scott inspiriert war von Passagen des Passion-Christi-Soundtracks, die mir zu dem Zeitpunkt sehr gut gefallen haben. Da gab es durchaus immer mal wieder kleinere Einflüsse, wenn ich Soundtracks gehört habe, bei denen ich zum Beispiel fand, dass es pfiffige Instrumentierungs-Ideen waren, um eine bestimmte Atmosphäre auszulösen und von denen ich mich dann habe inspirieren lassen. Aber das ist immer sehr individuell. Es gab jetzt keine „Kopiervorlage“ oder Inspirationsvorlage für einen kompletten Soundtrack, sondern einzelne Passagen sind von Ideen, die ich irgendwo aufgeschnappt habe, inspiriert.
WorldofGothic: Seit einiger Zeit hört man deine Musik für Gothic 3 im Radio – bei Klassik-Radio. Macht dich das stolz? In einer Reihe mit Bach, Beethoven, Zimmer, Williams oder auch Jenkins genannt zu werden?
Rosenkranz: Ja, das ist auf jeden Fall cool. Das hab ich am Anfang gar nicht glauben können, bis der Stefan Cahen, mit dem wir damals zusammen die Aufnahmen für den Gothic 3 Soundtrack gemacht haben, irgendwann mal erzählte, dass das auch im Radio läuft. Das zeigt auch, dass ein symphonischer Score, mit einem Orchester aufgenommen und der eine gewisse emotionale Tragweite und eine gewisse Aussage hat, auch außerhalb des Spiels als musikalisches Werk für sich genommen funktioniert und Bilder im Kopf auflöst – auch ohne das Spiel. Ich glaube, deshalb funktioniert der Gothic 3-Soundtrack losgelöst vom Spiel auch besser als die anderen Soundtracks.
WorldofGothic: Und wo bist du zum ersten Mal außerhalb deines beruflichen Umfelds auf deine Gothic Soundtracks gestoßen? Gab es da ungewöhnliche „Begegnungen“ mit deiner Musik?
Rosenkranz: Mhm, da muss ich überlegen. Es ist immer wieder etwas ganz besonderes, wenn man Coverversionen der eigenen Musik zum Beispiel auf YouTube sieht, wo ganz viele musikalische Fans meine Musik genommen haben, um eigene Versionen, eigene Interpretationen zu erstellen. Ich habe selbst einmal auf YouTube eine erste Folge einer Gothic-Soundtrack-Cover-Collection zusammengestellt, bei der die Cover anderer YouTuber und Musiker zusammengeschnitten sind. Ich finde es ungewöhnlich im positiven Sinne, zu erleben, dass andere meine Musik so sehr wertschätzen, dass es ihnen die Zeit und Energie wert ist, da eine eigene Version draus zu machen.
WorldofGothic: Und da kommt mir gleich noch eine Frage: Wie ist es mit der GEMA? Sicher wirst du dich da früher oder später registrieren. Aber was wird mit den vielen Moddern, die in ihren Modifikationen ja auch deine Musik verwenden? Werden die dann alle abgemahnt?
Rosenkranz: Ich war nie in der GEMA, ich bin nicht in der GEMA und ich hab im Moment auch nicht vor, der GEMA beizutreten. Wenn sich das mal ändert, glaube ich nicht, dass Leute, die meine Musik verwenden, abgemahnt werden, aber es ist im Moment nichts in der Richtung bei mir geplant.
WorldofGothic: Wie geht deine Familie mit deiner Arbeit um? Komponieren bedeutet ja oft, ein und dasselbe immer wieder neu auszuprobieren. Geht das deiner Frau manchmal auf die Nerven?
Rosenkranz: Es gibt einen großen Aspekt, bei dem sich meine Arbeit mit der Familie überschneidet und das ist der Bereich Zeitmanagement. Im Umgang mit der Tatsache, dass bei mir die kreativen Energien häufig Nachts am besten fließen, gibt es häufig eine gewisses Jonglieren, wo meine Zeit am besten wann investiert ist. Bei inhaltlichen Dingen, die du ansprichst, das zum Beispiel immer wieder das Selbe neu ausprobiert werden muss, gibt es keinerlei Probleme. Diesen Teil meiner Arbeit bekommt meine Familie auch gar nicht so sehr mit, weil ich das ja in meinem Studio mache. Es ist also nicht so, dass die Familie die gleiche Musikpassage immer und immer wieder ertragen müsste, während ich an einzelnen Tönen herumtüftle. Das ist ein Prozess, der typische Studio-Arbeit ist und in den ich auch sehr versinken kann, weil mir persönlich das Fine-Tuning einzelner Passagen auch sehr viel Spaß macht.
WorldofGothic: Wie hat es sich damals ergeben, dass du auch die Community-Arbeit zum Beispiel in den Fanforen übernommen hast? Lag dir das besonders oder war das reiner Zufall?
Rosenkranz: Ich glaube, die ersten Schritte meiner Community-Arbeit waren tatsächlich Zufall bzw. aus der Not geboren, da ich gesehen hatte, wie diese aktive Community entsteht – und einfach wollte, dass es da einen Austausch gibt zwischen uns als Entwicklern und der Community. Da habe ich mich dann selbst ein wenig drum gekümmert, weil ich A) die Notwendigkeit bzw. das Potential gesehen habe und B) als Einziger zu dem Zeitpunkt mir die Zeit dafür nehmen konnte. Dass daraus dann so eine umfassende Community-Betreuung geworden ist, mitsamt den Spezial-Aktionen, an die sich viele Fans und auch ich noch sehr gerne zurückerinnern – wie die Gothic-Camps im Rahmen der Games Convention in Leipzig aber auch die Community-Treffen überall in Deutschland ... dass also so etwas Umfassendes daraus entstanden ist, lag auch daran, dass sich zwischen der Community und mir ein sehr symbiotisches Verhältnis entwickelt hat.
Ich bin – um da einmal sehr persönlich zu werden – im Laufe des kreativen Schaffensprozesses immer auch sehr auf Wertschätzung und Anerkennung angewiesen. Es funktioniert für mich besser, die Ergebnisse werden besser und ich fühle mich wohler mit meiner Arbeit, wenn ich das Gefühl habe, dass es auch anerkannt und wertgeschätzt wird. Ansonsten verrenne ich mich schnell in Frust-Situationen. Die Community war für mich eine sehr starke Quelle an Energie und Zuspruch, die mir sehr geholfen hat, denn wenn das ganze Team unter Druck ist, ist das Ausstrahlen von gegenseitiger Anerkennung eines der ersten Dinge, die unter die Räder kommen. Die Community hat da Ausgleich für mich geschaffen. Sie hat sich gefreut, wenn ich mich beteiligt habe, sie hat mir Feedback und das Gefühl gegeben, zu wissen, wofür ich das eigentlich alles tue. Deshalb konnte ich aus der Community-Arbeit sehr viel mitnehmen und hatte dann dementsprechend auch umso mehr Spaß daran, wieder etwas zurückzugeben, indem ich mich dort engagierte und auch die persönlichen Freundschaften, die entstanden waren, gepflegt habe. Das hat für mich eine ganz besondere Rolle gespielt und ich würde sagen, dass das das Element ist, das mich emotional die zwölf Jahre, die ich bei Piranha Bytes gearbeitet habe, über Wasser gehalten hat.
WorldofGothic: Wie steht es eigentlich um dein Herzensprojekt Journey Home? Vor mittlerweile vielen Jahren gestartet ist es rund um dieses Album sehr still geworden. Planst du noch, es fertigzustellen? Wie weit sind die Arbeiten denn bis jetzt gediehen und was sind die größten Hindernisse, die der Fertigstellung entgegenstehen?
Rosenkranz: Es steht für mich völlig außer Frage, dass Journey Home fertig gestellt wird. Und zwar nicht nur das Album selbst, sondern auch alle im Zusammenhang mit dem Album versprochenen Rewards – physikalisch und digital! Ich bin im Moment in einer Phase, wo ich dazu keine öffentlichen Ankündigungsversprechungen mehr machen möchte, nach dem Motto „Bald kommt das Video“, „Bald ist das und das fertig“ oder „Bald hört ihr wieder von mir“, weil sich das einfach abgenutzt hat und ins Negative umgeschlagen ist. Es gibt keinen, der eine Ankündigung dieser Art positiv von mir aufnehmen würde – so empfinde ich es zumindest. Im Gegenteil, das haut dann eher in die Kerbe der weiteren Versprechungen.
Deswegen ist das nächste Signal, das ich gegenüber der Journey-Home-Community von mir geben möchte, dass das Album fertig oder fast fertig ist. Denn dann habe ich wirklich was in der Tasche, was ich zeigen kann, dann ist es nicht mehr nur Gerede und Ankündigung. In dieser Rolle fühle ich mich extrem unwohl. Das heißt, sobald ich wieder in der Lage bin, mich zu 100% auf Journey Home zu stürzen, dann wird es damit auch als Priorität weiter gehen. Ich wollte das ja ursprünglich mit der Community in Live-Streams weiter machen und auch meine Streaming-Tätigkeit liegt seit zwei Jahren wieder brach aufgrund anderer Projekte und persönlichen Herausforderungen momentan, die mich an meine persönliche Belastungsgrenze bringen. Ich möchte auch keine weiteren Community-Live-Streams und ähnliches veranstalten, ehe nicht Journey Home für alle zufriedenstellend abgeschlossen wird. Ich möchte es eben auch nicht unschön zu Ende bringen, indem ich es irgendwie schnell fertig mache und die Baustellen irgendwie zukitte, sondern ich möchte, dass es auch qualitativ dem entspricht, was ich mir am Anfang vorgestellt habe und was die Fans auch erwarten.
Die größten Hindernisse momentan: Es sieht so aus, als ob die Orchesteraufnahmen kaum oder nur mit großem Nachbereitungsaufwand verwendbar sind. Teilweise haben die Orchestermusiker die Kopfhörer von den Ohren genommen und dadurch hört man auf den Aufnahmen den Klick. Das zu entfernen, ist eine große Herausforderung technischer Art. Für mich selbst ist die Zeit im Moment die größte Herausforderung. Ich bin seit zwei, drei Jahren in der herausforderndsten Phase meiner Selbstständigkeit – die ja seit etwa 23 Jahren läuft – denn in den letzten Jahren ist meine persönliche Auslastung unfassbar belastend geworden. Aus dieser Überlastung muss ich jetzt erst wieder raus und dann kann ich mich auch wieder um Journey Home kümmern.
WorldofGothic: Als freischaffender Komponist bist du ja sicher in den unterschiedlichsten Projekten eingebunden. Kannst du uns mehr über deine aktuellen Arbeiten erzählen? Womit bist du gerade beschäftigt?
Rosenkranz: Ich beschäftige mich nicht nur mit musikalischen Projekten. Ich arbeite auch als Programmierer und Mediengestalter im allgemeineren Sinne, also auch Grafikdesign, Videoproduktionen und dergleichen. Über meine aktuellen Projekte darf ich zwar nicht viel sagen, aber nur soviel: Sie decken eine interessante Bandbreite ab und gehen von Programmier-Jobs im KI-Bereich (Künstliche Intelligenz) und außerhalb der Games-Branche, über Spieleentwicklungs-Jobs, bei denen ich die komplette Produktion kleinerer Mobile Games übernehme, bis hin zu den typischen Kompositionsaufträge für Games samt Soundbereich. Das ist also recht weit gefächert.
WorldofGothic: Nutzt du die Corona-Zeit mit den ganzen Kontaktbeschränkungen dazu, dich endlich mal ungestört in deinem Studio der Komposition anstehender Aufträge widmen zu können oder bedeutet Corona und die Folgen auch für dich vor allem Einschränkung und Nachteile im Privat- wie auch im Berufsleben?
Rosenkranz: Es ist nicht nur die ungestörte Arbeit an der Musik, sondern auch andere Aufträge, die viel Konzentration erfordern. Vor allem die Programmier-Jobs. Corona hat unser persönliches Leben ziemlich auf den Kopf gestellt. Häufig sah mein Tagesablauf so aus, dass ich Nachts ungestört durch Familienaktivitäten produktiv arbeiten konnte. Geschlafen habe ich, während die Kinder in der Schule und im Kindergarten waren. Fürs Familienleben blieben dann Nachmittag und Abend.
Im Moment funktioniert das wegen Home Schooling nicht so und die Ressource, die darunter am meisten leidet, ist mein Schlaf. Corona wirkt sich also auf uns durchaus aus. Aber ich denke auch, es gibt andere, die von der Pandemie viel stärker betroffen sind, als wir.