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World of Gothic




Bert Speckels | Bodo Henkel | Christian Wewerka | Heiko Klinge | Johann Ertl | Kai Rosenkranz | Mattias Filler | Nico Bendlin | Ralf Marczinczik | Reinhard Pollice | Tom Putzki |

Interview mit Ralf Marczinczik

"Es ist, trotz meiner kurzen Zeit, immer noch wahnsinnig viel im Spiel, dass ich als meine visuellen Ideen wiedererkenne. Es war also wirklich die Lebenszeit wert."



WorldofGothic: Du erzähltest uns vor über zehn Jahren ja schon einmal, dass du kurz nach Beginn deiner Selbständigkeit ins Büro der vier Nachfolgefirmen von Greenwood Entertainment (ArtDepartment, BetterDay, PiranhaBytes, Effective Media [die übrigens seit Gothic für alle PB-Spiele die Vertonung übernommen haben]) gestolpert bist. War es damals nicht so wichtig, dass du noch kein großes Portfolio an tollen Projekten zum Angeben aufweisen konntest? Schließlich wurdest du ja dort dann für einige Arbeiten eingestellt.

Marczinczik: Ich hatte damals ein kleines Portfolio mit meinen Arbeiten als Produktionsdesigner für Animations-Serien. Und das hatte Mike Hoge gereicht, um seinen anderen Mitgründern zu signalisieren, dass er sich vorstellen konnte, mit mir zu arbeiten. Aus dem Bereich kommend, deckt man über Architektur, Kostüme bis hin zu Heraldik vieles ab. Das hat zum Glück gereicht, und ich schätze Mike und seine Zusammenarbeit bis heute sehr und bin dankbar, dass er mir viel Freiheit gelassen hatte, eigene Ideen einzubringen.

WorldofGothic: Wann war das genau und wie hast du noch in das kleine Büro von Piranha Bytes, dass sie zuerst in Bochum hatten, gepasst? Naja, vermutlich hattest du eher dein eigenes Atelier.

Marczinczik: Ich war ja Freiberufler und arbeitete daheim in meinem eigenen, kleinen Küchenatelier. Das muss 1998 gewesen sein. Das Büro, in dem die vier saßen war ein kleiner, langer Schlauch, sicher nicht größer als 25 m².

Wir trafen uns dann einmal in der Woche in dem kleinen Meeting-Raum, der sicher früher einmal das Lager des Friseursalons gewesen sein muss, und sind über meine Entwürfe gegangen und haben gemeinsam daran herumgezeichnet, bis alles eine Form hatte, die zur Vision der Jungs passte. War wahnsinnig anregend, und ich habe vor kurzem noch Polaroids gefunden, die wir als Posen-Referenz für die vier Hauptfiguren geschossen haben. Und nein, ich werde sie niemandem zeigen (sicher peinlich für die Abgebildeten) – also fragt nicht.



WorldofGothic: Was hast du denn vor deiner Selbständigkeit gemacht?

Marczinczik: Ich hatte erst studiert (Grafik-Design mit Schwerpunkt Animation) und war dann für ein Kölner Trickfilmstudio tätig. Nach 3 Jahren als Angestellter endete das aber dann, und so war ich gezwungen, mich von der einen auf der anderen Woche als selbständiger Zeichner durchzuschlagen. Und eines meiner ersten Kontakt-Gespräche im Bochumer Raum war dann bei den Jungs von PB, die ja gleich die Straße herauf arbeiteten.

WorldofGothic: Was genau waren die Aufgaben, die du für Piranha Bytes durchgeführt hast? Laut dem oben verlinkten Interview dauerte die Zeit ja nur 2 Monate. Die vielen Design-Skizzen und Artworks, die du schon vor einigen Jahren aus deiner Gothic-Schaffensperiode veröffentlicht hast, lassen dann aber auf ein sehr hohes Arbeitstempo schließen!

Marczinczik: Ich hatte die Aufgabe, so schnell es geht, die Locations und Figuren-Designs mit Mikes Hilfe zu entwickeln. In der Zeit sind etwa viermal so viele Zeichnungen entstanden, als die, die man in meinem Archiv auf der Webseite und im Artbook sehen kann. Manche waren nur Konstruktions-Hilfen für die Modeller, andere Entwürfe haben wir genauso schnell verworfen, wie sie entstanden. Man darf da nicht zu eitel sein. Das ist Teil des Prozesses.

Es war also ganz klassisches Concept-Design. Dabei entstehen rasend schnell hunderte Entwürfe, die als Kommunikationshilfe für alle nachfolgenden Arbeiten dienen. Aber ich bin fleißig und habe noch immer viel Spaß an meinem Job – daher auch die hohe Zahl, trotz der kurzen Zeit. Ich kam dann erst einige Jahre später erst wieder regulär zum Team, als sie in der Endphase waren und habe dann beim Marketing-Material mitgeholfen.


WorldofGothic: Was waren das denn alles für Marketing-Materialien, an denen du mitgearbeitet hast? Es gab ja zum Beispiel eine Troll-Figur, die immer recht selten blieb und heute ein gesuchter Sammlerartikel in Fan-Kreisen ist. Sind auch die damaligen Anzeigenmotive in der Spielepresse dabei entstanden? Das Motiv des großen Pappaufstellers mit Gorn auf dem Thron und den leichtbekleideten Frauen als Eye-Catcher scheint dagegen ja eher von den Zeichnern des Gothic-Comics zu stammen.

Marczinczik: Ich hatte mit der Gothic 1 Troll Figur nur am Rande zu tun, aber die Nordmar-Krieger Figur entwickelt. Aber ich habe den Troll sicher noch irgendwo daheim im Archiv stehen. Den Aufsteller mit den Damen hatte man, soweit ich weiß, aus dem Comic-Material gebastelt.

Aber da hatte ich wirklich nichts mit zu tun. Auch nicht mit den Pressemotiven. Was aber mir zuzuschreiben ist, ist das Box Motiv von Gothic 1 – und der Kompromiss des Covers zu Gothic 3 (wir wollten etwas Cooles, aber damals waren diese nachempfundenen Buch-Gestaltungen sehr angesagt. Das war aber noch immer noch besser, als das, was das Publisher Marketing selbst anfertigen lassen wollte).

WorldofGothic: Deine veröffentlichten Skizzen beinhalten ja zu großen Teilen Environment, Landschaften, Gebäude, Items, einige Rüstungsdesigns. Charaktere und Monster hingegen fehlen eher. Wer hat denn die visualisiert? Oder hast du davon bisher nur noch nichts veröffentlichen können?

Marczinczik: Ich hatte die vier Hauptfiguren entworfen und Vorstufen zu den Rüstungen der einzelnen Gruppen. Das wurde aber von Mike und Co. dann weiterentwickelt. Ich habe noch mehrere Dutzend Blätter mit Figuren und Monsterdesigns, die nach einer fast zweijährigen Odyssee letztes Jahr den Weg zu mir zurück gefunden haben (sie sollten mit anderem Material an ein Game-Museum gehen). Da ist aber nichts dabei, das ich stolz herzeigen würde...

WorldofGothic: Hast du in deiner Zeit bei Piranha Bytes auch mit Uwe Meier zusammengearbeitet? Von ihm sind ja einige schicke Artworks veröffentlicht worden. Gab es da eine Arbeitsteilung?

Marczinczik: Uwe, den ich sehr schätze, hat seine Arbeiten immer zusammen mit Mike Hoge entwickelt. Wir haben gelegentlich über seine Designs gesprochen, aber mehr gab es da eigentlich an Zusammenarbeit nicht. Warum auch? Er war ein Meister seines Faches! Einzig seine Textur-Übergänge waren gelegentlich Teil einer freundschaftlichen Frotzelei, weil er dazu immer das Wischfinger-Tool in Photoshop nutze, was als Farbmisch-Werkzeug eine unglückliche Wahl für mich darstellte. Das konnte er doch auch besser und war sicher nur zu faul! Aber das war wirklich immer nur ein „Auf-Den-Arm-Nehmen" unter Kollegen.

WorldofGothic: Manches von dem, was du gezeichnet hast, ist nie so realisiert worden. Findest du es immer ein wenig schade, wenn eine Idee, die du visualisiert hast, im Aktenordner verschwindet? Oder ist das einfach die typische Arbeitsweise, dass viel ausprobiert wird und dazu eben auch viele verworfene Ideen und dazugehörige Zeichnungen und Skizzen notwendig sind?

Marczinczik: Nö – denn das ist einfach Teil des Arbeitsprozesses. Wenn ich zurück denke, so landete sicher 90% meiner Arbeit an Games in Schubladen. Aber diese Schritte sind oft nötig, um die Ideen zu verfeinern, und über konkrete Bilder kann man besser diskutieren, als über vage Vorstellungen. Ich bin da wirklich leidenschaftslos. Nicht alles, was man produziert, ist Gold- und dann muss das nicht auch noch an die Öffentlichkeit.

WorldofGothic: Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Deshalb ist es sicher nicht verwunderlich, dass so viele Dinge visualisiert werden, um sie besser verständlich zu machen. Wie groß war deine Freiheit bei Gothic, deine Vorstellungen vom Design verschiedener Sachen einzubringen? Gab es schon klare Vorstellungen seitens PB, wie etwas auszusehen hatte oder warst du da relativ frei und konntest deine eigene Kreativität stark ausleben?

Marczinczik: Ich hatte wirklich enorm viel Freiheit, Konzepte und Visualisierungen vorzustellen, da ich sehr früh im Prozess dabei sein durfte. Es gab immer Wünsche und Anforderungen seitens der Story, aber solche Restriktionen sind ja auch notwendig, damit man auf ein Ziel hinarbeiten kann, bei dem am Ende eine spezifische Funktion mit einem spezifischen Design steht. Es gab einen Wunsch, z.B. eine bestimmte Location sehen zu wollen – und ich habe dann dazu 2-3 gezeichnete, erste Ansätze geliefert, von denen einer dann aufgegriffen und weiterentwickelt wurde. Und bei der nächsten Location haben wir es genauso gemacht.

Es ist, trotz meiner kurzen Zeit, immer noch wahnsinnig viel im Spiel, dass ich als meine visuellen Ideen wiedererkenne. Es war also wirklich die Lebenszeit wert – und es hatten sich tolle Freundschaften daraus entwickelt.

WorldofGothic: Später für Gothic 3 hast du ja dann erneut mit Piranha Bytes zuammengearbeitet. Hauptsächlich davon handelt ja auch das tolle Art-Book zu Gothic 3, in dem viel davon gezeigt wird, wie die Welt und ihr Inhalt bei einem Computerspiel entsteht. Wie stark hatte sich die von dir verwendete Technik in den Jahren seit Gothic weiterentwickelt? Wurden dadurch nun auch andere Anforderungen an Konzeptarts und Visualisierung gestellt?

Marczinczik: Ich hatte natürlich viel mehr Möglichkeiten, komplexere Ideen vorzustellen. Weitere Sicht, größere Städte, komplexer designte Figuren. Selbst, wenn viele Games selten etwas konzeptionell richtig Neues bringen, so kann man bei Games immer darauf bauen, dass man beim nächsten Aufguss, die mehrfache Grafik-Power nutzen kann. Für mich hieß das bei den Concepts, dass ich in Farbe arbeitete und vieles auch malerischer angehen konnte. Das war schon cool...


WorldofGothic: Konntest du für Gothic 3 deine alten Arbeiten für Gothic zum Teil noch benutzen bzw. fortentwickeln oder waren sie dir vielleicht in irgendeiner anderen Weise für das neue Projekt von Nutzen?

Marczinczik: Nee – da war die Arbeit an einer neuen G3 Welt schon zu weit fortgeschritten. Ich habe teilweise Proportionen beibehalten, die ja einen Teil des Gothic-spezifischen Flairs ausmachen, aber ansonsten hatten wir Carte Blanche, wenn es um die Entwicklung der Designs ging.

WorldofGothic: Nach Gothic 3 hattest du ja für das Nachfolgeprojekt Risen auch die Kommunikation mit der Community für dich entdeckt. Rückblickend glaube ich, das war für Fans die interessanteste Zeit, da sie so viel aus erster Hand über die Entwicklung eines Piranha-Bytes-Spiels erfahren haben. Es waren ja nie große Spoiler dabei, eher oft die grundlegenden Dinge und einzelne Skizzen und Artworks und sehr viel Kommunikation mit den Fans. Wie hast du das damals empfunden? War das für dich eine interessante Abwechslung zum Job des Art Directors? Oder gar eine Ergänzung, nicht nur über Grafiken und Skizzen, sondern auch im direkten Kontakt mit den Fans Inspiration zu bekommen?

Marczinczik: Für mich war das ein ganz enormer Spaß, denn meine Arbeit als Concept-Designer war weitestgehend da schon gelaufen und ich hatte mich nur noch um die Leitung der Grafiker und der Artdirection zu kümmern. Kai Rosenkranz, der sich zuerst um die Community gekümmert hatte, hatte irgendwann zeitgleich sehr viel mehr auf dem Tisch, so dass wir einfach intern entschieden haben, Kai zu entlasten und das landete dann bei mir.
Und wie man damals mitbekommen hat, so habe ich mir einen ganz eigenen Spaß daraus gemacht, die Produktion zu präsentieren, denn ich erfand eine Praktikantin (Meine Nichte), die den ganzen Entstehungsprozess aus der Sicht einer dreizehnjährigen jungen Frau beschrieb. Und ich glaube, auch die Fans hatten eine Menge Freude an dieser ungewohnten Perspektive.

WorldofGothic: Wurde dein „Zweitjob“ als Community-Bindeglied vom damaligen Publisher Deep Silver gefördert, bzw. haben diese sich anderweitig dazu positioniert? Oder lief das völlig unabhängig?

Marczinczik: Ich glaube, Deep Silver hatte zuerst davon nichts mitbekommen – und hatte uns nach den ersten positiven Reaktionen auch weitestgehend freie Hand gelassen. An übliches Marketing-Sperrfeuer kann ich mich jedenfalls nicht erinnern. Natürlich wollten sie zum Ende hin beim Box Design langweiligen, kopierten Quatsch pushen, den sie sich selbst ausgedacht hatten oder bei anderen Kampagnen gesehen hatten – aber die schlimmsten Entgleisungen konnten durch die Leitung von PB verhindert werden.

WorldofGothic: Wie bewertest du das Projekt des Gothic Remakes, das THQ Nordic gerade realisieren lässt? Was sind für dich die Key Features, die bei einem Remake unbedingt erhalten bleiben sollten, damit Gothic einen gleichartigen visuellen Stil mit Wiedererkennungswert behält?

Marczinczik: Ich finde es großartig und frage mich, warum das nicht schon viel früher passiert ist? Ich würde beibehalten, was toll funktionierte, den Look auf eine zeitgemäße Grafik heben – ohne aber die Konzepte aus dem Auge zu verlieren. So etwas ist immer etwas kniffelig, denn man möchte auch nicht zu angestaubt rüber kommen. Ich beneide die Grafiker nicht, die das machen sollen ... Fans sind bei bestimmten Schlüsseldesigns sehr schnell und harsch mit Kritik.

WorldofGothic: Gibt es Dinge im Weltendesign oder im Artstyle von Gothic, die deiner Meinung nach gerne ausgebaut, erweitert oder adaptiert werden sollten?

Marczinczik: Ich hätte zu gerne das Lager im Wald so gesehen, wie wir es uns zu Beginn vorgestellt hatten- aber das war es auch schon. Gothic ist und war immer sein eigenes Universum und Erweiterungen ohne die Haupt-Ideengeber wie Mike oder Alex oder Tom und Stefan hätte nicht die gleichen Sensibilitäten und Themen im Zentrum. War halt „Lightning in a Bottle" – so etwas bekommt man nur selten hin.

WorldofGothic: Auf deinem Blog comixfactory.de veröffentlichst du regelmäßig Beiträge aus deinem Schaffen und deinen Projekten. Besonders interessant fand ich immer das Projekt der Graphic Novel „Weiße Lügen“. Besteht dafür noch eine Hoffnung auf Realisierung? Hast du schon einmal über Crowdfunding nachgedacht?

Marczinczik: „Weiße Lügen" hatte ich bei zwei Verlagen platziert, aber wir bekamen das Geld für eine Realisierung nicht zusammen. Also gab ich das Projekt irgendwann auf und mach heute dennoch Comics. Aber eher im unsichtbaren Bereich, wie Werbung oder Film. Längere Buchprojekte kann ich aber auch erst seit 2020 wieder angehen, da sich meine persönliche Situation geändert hat und ich nun mehr Zeit darauf verwenden kann, ohne Gefahr zu laufen, zu verhungern.

WorldofGothic: Seit vielen Jahren bist du wieder als freiberuflicher Illustrator tätig. Was für Projekte hast du seitdem begleitet?

Marczinczik: Games wie Die Siedler, Walhalla Hills und viele Werbekampagnen und Bücher. Box Designs, wie z.B. Collector’s Editions für Assassin’s Creed. Es kommen zwar gelegentlich auch noch Games dazu, aber keines davon hat je den Status eines Phänomens wie Gothic oder Moorhuhn erreicht.

Manches wurde auch eingestellt (was immer frustrierend ist. Besonders, wenn man 3 Jahre seiner Lebenszeit darin investiert hat), was bei mir irgendwann den Wunsch weckte, mich meiner großen Liebe, den Comics, zu widmen. Und seit letztem Jahr darf ich das älteste und renommierteste Comic-Seminar Europas organisieren: https://comicseminar.de/

Das ist ebenfalls sehr befriedigend und bringt eine Menge Kontakte mit Menschen mit sich, die ebenfalls im Games-Bereich arbeiten.

„Je ne regrette rien"... wie Edith Piaff so schön sang.
geschrieben von Don-Esteban



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