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Interview mit Tom Putzki
"Ich habe allerdings schon früh verstanden, dass es unerlässlich sein wird, nach außen in Erscheinung zu treten als neues, unbekanntes Team – Presse, Publisher und die Branche ganz allgemein. Und die gute Presseberichterstattung hat uns damals auch bei den Publishern ganz neue Türen geöffnet."
WorldofGothic: Hallo Tom, toll dass du Zeit für uns findest! Reden wir ein wenig über die Anfänge, schließlich warst du ja dabei. Wie lange warst du in den 90ern bei Greenwood Entertainment, der Entwicklerfirma aus der heraus dann 1997 Piranha Bytes gegründet wurde? Und welche Aufgaben hattest du dort?
Putzki: Sehr gerne! Wenn ich mich recht erinnere bin ich ca. 1995 zu Greenwood gekommen als 3D Artist. Ich modelte vor allem erst einmal Assets. Dann kam ich zu zwei laufenden Projekten ins Team und war dort dann für Leveldesign und Missiondesign zuständig. Eines dieser Projekte habe ich dann in den letzten Zügen als Projektleiter übernommen, da der bisherige Lead das Unternehmen verlassen hatte … und ich war der einzige, der sich mit dem Setting des Spiels (Battlemechs) gut auskannte.
WorldofGothic: Worin lagen die Gründe, dass du mit drei anderen Greenwood-Mitarbeitern (Alex, Mike und Stefan) zusammen dann PB gegründet hast? Wolltet ihr unabhängiger von anderen sein oder war Greenwood einfach nicht so sehr interessiert an Rollenspielen? Schließlich war das Studio eher bekannt für Wirtschaftssimulationen und Managementspiele (die Planer-Reihe, Mad TV 2, diverse ran Fußballmanager).
Putzki: Greenwood gehörte damals zur Funsoftgruppe und diese war nicht wirklich zufrieden mit den Ergebnissen, die Greenwood lieferte – sie drehten uns den Geldhahn zu. Das Team beriet lange, was man tun konnte, um weiterzumachen und so wurde ein Management Buyout von Greenwood aus Funsoft heraus beschlossen. Aus rechtlichen Gründen konnten wir Greenwood als Firma nicht weiterführen, sondern mussten neue Unternehmen gründen … und wir vier (Alex, Mike, Stefan und ich) gründeten Piranha Bytes. Insgesamt wurden vom Greenwood-Team 4 Unternehmen gegründet: The Art Department, Better Day Communications,
Effective Media und
Piranha Bytes.
WorldofGothic: Hattet ihr schon die Idee und Vorstellung von Gothic und habt nach der richtigen Umsetzung gesucht oder kam das alles erst zusammen, als die drei „Mad Scientists“ mit ihrer Engine bei Greenwood angeklopft haben?
Putzki: Ideen gab es schon in Konzeptform soweit ich mich erinnere … mit den Mad Scientists und ihrer Engine konnte das Projekt nun in die Realität umgesetzt werden.
WorldofGothic: Wie waren eure frühen Vorstellungen von Gothic, hast du da noch Ideen und Pläne im Gedächtnis? In ersten Artikel der Spielepresse las man noch von vier Spielklassen, einer Welt voller Dungeons und vielen Gilden. Wie sehr unterschied sich das letztendlich veröffentlichte Spiel von dem, was ihr euch in der Anfangsphase ausgedacht hattet?
Putzki: Schon ziemlich … wir haben im Laufe der sehr langen Entwicklungszeit schon einiges an Ideen wieder verwerfen müssen … ich denke da an Helme und Schilde, die angesprochenen Klassen, Multiplayer, Trolle, die Gobbos werfen und noch vieles mehr! Wir mussten einfache Dinge, die uns überforderten, die nur sehr selten einsetzbar waren oder wo sich der Aufwand einfach nicht gelohnt hat, wieder streichen … manches davon mit blutenden Herzen …
WorldofGothic: Und wie lief das praktisch in den ersten Monaten? Mit einem kleinen Büro, nur wenigen Mitarbeitern, die vermutlich alle mehrere Aufgaben parallel zu stemmen hatten, mit dem gemeinsamen Meetingraum mit anderen Firmen und all diesen Einschränkungen? Und Geld war ohne einen Publisher sicher auch bald knapp.
Putzki: Oh ja, das war nicht leicht. Wir waren zu viert im Büro … Anfangs ohne zusätzliche Mitarbeiter und die drei Mad Scientists als externes Programmierteam … das wars. Wenigstens konnten wir uns ganz auf das Spiel konzentrieren, weil nicht nur der Meetingraum, sondern auch die Buchhaltung, Server etc. zentralisiert waren und von den 4 Firmen geteilt wurden. Wir haben damals sehr viel Zeit im Büro verbracht …
WorldofGothic: Wie schwierig war die Suche nach einem Publisher für Gothic? Musstet ihr sehr viel Überzeugungsarbeit leisten? Kannst du dich noch erinnern, bei welchen Firmen ihr mit eurem Baby vorstellig wurdet und was so die häufigsten Ablehnungsgründe waren? Spielte da eine Rolle, dass ihr als Piranha Bytes noch keine Spiele veröffentlicht hattet und Gothic euer erstes Projekt war?
Putzki: Yep, das war schon eine Herausforderung. Wir haben das Spiel damals bei allen relevanten Publishern vorgestellt und der häufigste Ablehnungsgrund war schon die mangelnde Erfahrung als Team. Wir waren bei Activision, Electronic Arts, Ubisoft, GT Interactive, Eidos, Acclaim, Infogrames, Vivendi, Take 2, Codemasters, MicroProse und noch einigen mehr … also alles, was damals in der Branche Rang und Namen hatte. Aber letztendlich wurden wir doch fündig und bekamen einen Publishingvertrag mit Egmont Interactive, dem damaligen neu gegründeten Spieleableger des Egmont Ehapa-Verlages.
WorldofGothic: Du bist ja recht bald in der Öffentlichkeitsarbeit für Gothic aufgegangen, Besuche bei Spielemagazinen, die wohlwollende Berichte über den kommenden Stern am Rollenspielhimmel schrieben, Messepräsenz von der ECTS in London bis hin zur E3 in Amerika. Was waren eigentlich deine ersten Aufgaben, ehe du quasi deine Berufung in der Arbeit mit Presse und Publisher gefunden hattest?
Putzki: Ich habe angefangen, die Welt von Gothic zu modellieren. Das war meine eigentliche Aufgabe. Und natürlich zusammen mit den drei anderen Kollegen das Gamedesign, da haben wir alle dran gearbeitet. Ich habe allerdings schon früh verstanden, dass es unerlässlich sein wird, nach außen in Erscheinung zu treten als neues, unbekanntes Team – Presse, Publisher und die Branche ganz allgemein. Und die gute Presseberichterstattung hat uns damals auch bei den Publishern ganz neue Türen geöffnet.
WorldofGothic: Was führte dann zum Deal mit Egmont-Ehapa? Der Verlag war ja eher durch Comics bekannt. War das seitens Egmont-Ehapa damals der Wunsch, auch bei anderen Medien einzusteigen und ihr kamt mit Gothic gerade recht dafür?
Putzki: Wie weiter oben schon erwähnt wurde beim Egmont Ehapa Verlag eine interaktive Gamesabteilung gegründet und wir kamen mit Gothic daher gerade recht. Damals gab es solche Gründungen bei den unterschiedlichsten Unternehmen aus anderen Branchen … das war ein Art Aufbruchszeit. Wir waren ja auch am Beginn der sogenannten Dotcom Bubble … alles Interaktive war auf einmal sehr sexy.
WorldofGothic: Wie kam es dazu, dass dann dtp mit einstieg und Shoebox als gemeinsames Publishing-Label gegründet wurde? Ist es richtig, dass sich Egmont schon vor dem Release wieder aus dem Projekt mehr oder weniger zurückzog, so dass das gerade gegründete Label Shoebox, unter dem Gothic dann erschienen ist, zu dem Zeitpunkt eher ein dtp-Ding war? Der offizielle Ausstieg Egmonts kam dann ja im September 2001.
Putzki: Ich würde das mal unter ‚mangelnder Erfahrung‘ in der Gamesbranche verbuchen auf Seiten von Egmont … dtp hatte diese Erfahrung dagegen reichlich. Nicht nur im Publishing sondern auch im Vertrieb und das war etwas, was Egmont dringend brauchte. Natürlich hat die immer länger dauernde Entwicklungszeit von Gothic auch ihren Teil dazu beigetragen …
WorldofGothic: Wie bewertest du heute die damalige Zusammenarbeit mit eurem Publisher? Waren da erfahrene Leute am Werk, die euch in die richtige Richtung lenken konnten? Man kennt ja die Abläufe mit Milestones und den ganzen Schritten aus dem Projektmanagement … Oder konntet ihr machen, was ihr für wichtig hieltet und die Vertreter von Shoebox davon überzeugen?
Putzki: Wie oben schon beschrieben: es mangelte an Erfahrung … allerdings nicht nur auf Seiten des Publishers, sondern auch auf unserer Seite, so das wir Dinge versprachen, die wir beim besten Willen nicht halten konnten.
WorldofGothic: Gibt es spezielle Ideen in Gothic, die von dir stammen oder die du stark beeinflusst hast?
Putzki: Klar gibt es da was … der In Extremo-Auftritt im Spiel zum Beispiel! Kudos an Markus Kark aus unserem Team, der mit einer selbstgebrannten CD mit dem 2. In Extremo-Album ‚Weckt die Toten‘ zu mir ins Büro kam und mir vorschlug, das doch mal anzuhören. Ich habe auch meine Finger bei NPCs wie Mud und Baal Netbeck stark im Spiel gehabt.
WorldofGothic: Wer hat damals den Deal mit In Extremo eingefädelt? Wie kam es überhaupt dazu? Kannte jemand jemanden, der wieder jemanden kannte? Also so um fünf Ecken? Oder fragte man ganz ordentlich und unverbindlich beim Management von In Extremo an?
Putzki: Das war wohl ich. Wie gesagt, Markus brachte mir die CD, ich war begeistert – ein paar der Songs hatte ich schon auf Mittelaltermärkten oder bei Rollenspieltreffen gehört, aber noch nicht das ganze Album. Dann habe ich ein wenig recherchiert und schließlich das Management von In Extremo ausfindig gemacht…es war die Firma Vielklang aus Berlin mit der tollen Doro Peters! Die habe ich dann einfach angerufen und am Telefon ein wenig mit meinen Ideen überfallen. Ich glaube bis heute nicht, dass Doro eigentlich verstanden hatte, was ich von ihr wollte.
Auf jeden Fall kam es dann zu einem Treffen in Düsseldorf vor einem In Extremo-Konzert im Tor 3. Wir haben dann ca. 2 Stunden draußen im Backstage-Bereich zusammengesessen, ein paar Bier geleert und ich habe auf die Bandmitglieder und Doro eingeredet ….
Danach gab es das Konzert … und wir haben dann wieder gesprochen. Jetzt wurde es Zeit, die ‚Großen‘ ins Boot zu holen – bei uns war das unser Publisher, bei In Extremo die Plattenfirma Universal Records. Es war noch einiges an Überzeugungsarbeit nötig, aber letztendlich hat es dann ja geklappt.
Wir haben die Band im Motion Capture-Studio gehabt, sie von allen Seiten in Bühnenkostümen fotografiert, ihre Gesichter mit einem 3D-Scanner aufgenommen und ihre Bewegungen beim Spielen des Songs ‚Herr Mannelig‘ per Motion Capture aufgenommen. Es hatte sich eine wirklich gute Zusammenarbeit entwickelt zwischen uns … u.a. sind wir mit Gothic dann überall in die Musikpresse gekommen und In Extremo im Gegenzug in die gesamte Gamespresse … was wirklich beiden Seiten nicht geschadet hat. Und noch heute gehe ich zu jedem erreichbaren In Extremo-Konzert und freue mich dann immer, die Jungs wieder zu treffen.
WorldofGothic: Und der Gothic Comic, der heutzutage in Sammlerkreisen großen Wert besitzt … die Idee ging sicher auf Egmont-Ehapa zurück, denn das war ja ihr Kerngeschäft? Wie sah eure Unterstützung für die Comic-Macher aus? Durften die sich Freiheiten erlauben oder gab es strikte Vorgaben für die Umsetzung? Immerhin ist die Figur des obersten Erzbarons Gomez im Comic völlig anders dargestellt als später im Spiel, was sicher bei vielen beim ersten Lesen für Überraschung gesorgt hat.
Putzki: Seufz … ich habe gar keine Ausgabe des Comics mehr … Alle weg … Und ja, um die Frage zu beantworten: das war natürlich ein Marketingtool aus der Kernkompetenz von Egmont. Ich glaube wir haben die Comicautoren recht gut gebrieft, aber gewisse Freiheiten hatten sie natürlich auch. Mehr kann ich dazu heute gar nicht mehr sagen.
WorldofGothic: Waren die mehrfachen Verschiebungen des Release-Datums intern ein starkes Problem? Vermutlich habt nicht nur ihr, sondern auch Egmont die Komplexität der Entwicklung damals unterschätzt. Ich erinnere mich an Werbeanzeigen in Spielemagazinen, als das Spiel schon wieder verschoben war. Vermutlich wurden Termine in letzter Sekunde verschoben und es ließ sich da eine schon losgelassene Marketing-Welle nicht mehr rechtzeitig komplett stoppen.
Putzki: Ja, leider. Wie oben schon mehrfach erwähnt wurde die Komplexität des Spiels auf unserer und auf Publisherseite gnadenlos unterschätzt. Da haben wir uns nicht gerade mit Ruhm bekleckert mit diesen häufigen und langwierigen Releaseverschiebungen … wir wussten und konnten es nicht besser zu dem Zeitpunkt. Die gesamte Entwicklung hat 3,5 Jahre gedauert … dazwischen gab es von uns nicht zu beeinflussende Technologiesprünge wie zum Beispiel bei der 3D Grafikdarstellung … Voodoo und 3dfx waren State of the Art … aber dann kam DirectX und wurde immer besser und akzeptierter und darauf mussten wir uns erst einmal wieder einstellen … das hat gedauert. Was ebenfalls nicht wirklich gut war, ist die Tatsache, dass wir neben dem Spiel ja auch immer die Engine mitentwickelt haben, also die notwendige Technologie auf der Gothic basierte. Würde ich im Nachhinein wirklich niemandem empfehlen!
WorldofGothic: Was sind die Inhalte im Spiel, die du noch heute als besonders gut, gelungen und überzeugend empfindest? Was macht Gothic zu einem guten Spiel?
Putzki: Eindeutig die gesamte Atmosphäre, das Setting und Szenario, die Stimmung … überhaupt: die Welt! Die war und ist nach wie vor Klasse. Wir wollten keine Blümchen-Fantasy erschaffen und das ist uns glaube ich wirklich gut gelungen. Der Ruhrpott mit seinem ganz eigenen Charme und der etwas direkteren Art hat dazu mit Sicherheit seinen Teil beigetragen.
WorldofGothic: Bist du überrascht, dass 20 Jahre nach Release noch immer eine weitgefächerte Community rund um die Gothic-Serie Bestand hat und Gothic in verschiedenen Ländern mittlerweile Kultstatus unter vielen Spielern genießt?
Putzki: Das ist wirklich unglaublich und großartig! Ich habe die letzten Jahre sehr viel Zeit in Osteuropa verbracht und bin dort immer wieder auf Gothic-Fans getroffen … egal ob in Polen, Belarus, der Ukraine oder Russland. Das macht einen sehr stolz wenn die eigene Arbeit so dermaßen geschätzt wird!
WorldofGothic: Was machst du heute? Die Zeit bei Piranha Bytes hast du ja schon lange hinter die gelassen.
Putzki: Och, so einiges. Die letzten 10 Jahre war ich für Wargaming und World of Tanks unterwegs. Ich habe immer noch seit nunmehr 15 Jahren meine eigene kleine Consulting-Agentur ‚Tom Putzki Consulting‘, mit der ich Kunden im In- und Ausland sowohl innerhalb der Gamesbranche als auch außerhalb der Industrie berate.
geschrieben von Don-Esteban