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World of Gothic



01. Murdra | 02. Das Messer | 03. Rauch im Gebirge | 04. Gerüchte vom Kontinent | 05. Groms Hand | 06. Der hölzerne Wirt | 07. Der Fremde | 08. Der schwarze Krieger | 09. Ped | 10. Nummer drei | 11. Holz auf Stein | 12. Blutnattern | 13. Die Freiwilligen I | 14. Die Freiwilligen II | 15. Zum später zahlen | 16. Tot ist tot | 17. Schuld |



Von Hans-Jörg Knabel

Frühe Skizze von Ethorn VI, König von Argaan.
Wütendes Gebrüll tönte durch die Nacht.
Innos behüte uns, dachte Murdra, während ihr ein Schauder über den Rücken lief. Die Krieger des Königs schienen ihre Angst nicht zu teilen. Im Gegenteil! Das wütende Gebrüll entfachte ihren Durst. Sie erhoben ihre Becher, prosteten dem König im Schein der Kerzen und Fackeln zu und tranken auf seinen Mut und sein Geschick bei der Jagd. Murdra griff nach dem Metkrug und begann, die Becher, die vor ihr auf der Anrichte standen, zu füllen.
»Angst?« fragte Grom, der erste Jäger des Königs, mit seiner tiefen, kehligen Stimme.
Murdra schüttelte den Kopf, aber ihre Hand zitterte.
»Du brauchst keine Angst zu haben«, sagte Grom mit einem finsteren Lächeln. »Der Käfig ist aus bestem nordmarschem Stahl, und das Tier ist gebunden. Ich selbst habe die Knoten geknüpft und mit Blei versiegelt.« Er spannte die Muskeln seines nackten Oberarms und ließ den Bizeps hin und her rollen.
Kräftig ist er ja, dachte Murdra und starrte auf den Arm und die prallen Muskeln des Jägers. Und edel. Sein Unterarm steckte in einem Handschuh aus feinstem Rindsleder, der mit eingestickten Ornamenten und blau glänzenden Saphiren reich verziert war. Noch nie hatte Murdra solche Handschuhe an einem Jäger gesehen.
»Außerdem wache ich über die Trophäe des Königs«, fuhr Grom fort, »und mir ist noch nie ein Tier entkommen, ganz gleich, wie groß und stark es war.« Er legte die Hand auf den Kopf der jungen Magd, die neben Murdra auf dem Holzschemel saß, und zerzauste ihr braunes, kinnlanges Haar.
»Nicht wahr, Karella?«
Die Magd nickte mit dem Kopf und biss in einen Apfel, den sie ungefragt von der Anrichte genommen hatte. Sie mochte fünfzehn sein, vielleicht auch sechzehn. Unverschämt und aufmüpfig war sie allemal. Murdra nahm der Magd den Apfel aus der Hand und warf ihn in den Eimer mit den Küchenabfällen. Die Magd schaute sie zornig an und pustete sich trotzig eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Grom sagte nichts, aber sein Blick verfinsterte sich.

Es war sonderbar. In Murdras Augen passte die Magd überhaupt nicht zum Gefolge des Königs. Jeder einzelne der Setarrifer war edel und stattlich, selbst der niederste Knecht. Nur die Magd war es nicht. Sie trug eine einfache, völlig unverzierte Hose aus dunklem Leder und eine ebenso einfache und unverzierte Weste. Der Dolch, der an ihrem Gürtel hing, schien kostbar zu sein, aber sein Griff war schmutzig; so schmutzig wie die Hände der Magd. Ihre Arme waren von blutigen Kratzern übersät, was kein Wunder war, denn sie hatte den Kräutergarten durchstöbert und sich an Murdras Brombeeren vergriffen. Murdra hatte sie an den Ohren vom Brombeerstrauch gezerrt und auf den Schemel in ihrer Küche gesetzt, wo sie die Magd besser im Auge behalten konnte. Doch keiner im Gefolge des Königs schien sich an den schmutzigen Händen der Magd und an ihrem ungezogenen Verhalten zu stören. Jeder behandelte sie mit Wohlwollen und sogar mit Respekt. Murdra verstand es nicht. Sie hielt dem finsteren Blick des Jägers einen Augenblick stand, dann nahm sie mürrisch einen frischen Apfel von der Anrichte und hielt ihn der Magd hin.
»Hier«, sagte sie. »Der ist saftiger.«
Die Magd grinste Murdra verschmitzt an und griff nach dem Apfel. Grom entspannte sich.

Wieder tönte wütendes Gebrüll durch die Nacht.
»Er hat Hunger«, sagte Grom und leerte seinen Becher mit einem einzigen kräftigen Zug. »Dann will ich ihn nicht länger warten lassen. Es ist nicht gut, wenn er zu hungrig wird.« Grom stellte den Becher auf den Tisch und wandte sich von Murdra ab. Sie schaute ihm nach, wie er mit festen Schritten durch den Schankraum ging, an der Tafel der Krieger vorbei, zur Tür und hinaus, auf den Hof, in Richtung des Stalls, neben dem der Käfig stand.
Kaum war Grom in der Dunkelheit verschwunden, stand die Tochter des Königs im Durchgang zwischen der Küche und dem Schankraum. Sie war vielleicht zwei Jahre älter als die Magd und schöner als jede Frau, die Murdra je gesehen hatte. Ihr Kleid war von Gold durchwirkt, und sie hatte ein klares, ebenmäßiges Gesicht.
»Wo ist Grom hingegangen?« fragte sie.
»Auf den Hof«, sagte die Magd, ohne sich zu ihrer Herrin umzudrehen, und biss in den Apfel.
»Was macht er?«
»Was wohl? Füttert das Raubtier«, antwortete die Magd, frech und mit vollem Mund.
Wird sich noch um Kopf und Kragen reden, die Magd, dachte Murdra. Doch darauf wollte sie nicht warten. Sie stellte den Metkrug zurück auf die Anrichte, wischte sich die Hände an der Schürze ab und fragte: »Was kann ich für dich tun, Herrin?«
»Euch«, sagte die Tochter des Königs und funkelte Murdra herrisch an. »Was kann ich für Euch tun, Herrin? So redet man mit der künftigen Königin von Argaan. Merk‘ dir das!«
Murdra nickte eifrig mit dem Kopf und verneigte sich ungeschickt. »Was kann ich für Euch tun, Herrin?« fragte sie noch einmal.
»Schon besser«, sagte die Herrin. Sie schaute sich in Murdras Küche um und rümpfte die Nase. »Ich möchte das Anwesen besichtigen«, fuhr sie fort. »Und du wirst mich führen.« Sie machte einen Schritt zurück in den Schankraum und winkte Murdra ungeduldig aus der Küche.
Murdra nahm eine Fackel von der Wand. Die Magd stand vom Schemel auf und schickte sich an, sie zu begleiten. »Du bleibst hier!« knurrte Murdra bestimmt. Die Tochter des Königs lachte.
»Du darfst uns begleiten, Karella«, sagte sie belustigt. »Ich erlaube es dir.«

Wieder tönte wütendes Gebrüll durch die Nacht. Diesmal schien es Murdra noch wilder und wütender zu sein, als zuvor. »Hier entlang«, sagte sie mit zitternder Stimme und führte die beiden Mädchen durch den Schankraum, vorbei an der Tafel der Krieger, die erneut ihre Becher erhoben. Belgor stand neben Ethorn VI und füllte frischen Met in den Becher des Königs. Er fühlte sich nicht wohl in seiner Haut. Murdra konnte es an dem Blick ablesen, den er ihr zuwarf, als sie die Tür zum Weinkeller öffnete. Da kann man nichts machen, dachte sie, denn sie selbst fühlte sich auch nicht wohl, bei dem Gebrüll auf dem Hof und in Gegenwart der hohen Herren.
Murdra trat in den Weinkeller, leuchtete mit ihrer Fackel den dunklen Raum für die beiden Mädchen aus. »Hier lagern wir unseren Wein und den Met«, erklärte sie.
»Das sehe ich selbst«, sagte die Tochter des Königs mit einem gelangweilten Blick auf die Fässer, die an den Wänden des Weinkellers standen. Die Magd steckte sich den Rest des Apfels samt Stiel in den Mund.

»Ich will raus aus dem stinkenden Haus«, sagte die Herrin. »Auf den Hof!«
Murdra ging zum Tor des Weinkellers, schob beide Torflügel auf. Der Hof lag in völliger Dunkelheit. Nur das Grölen der Männer im Schankraum war gedämpft durch das Mauerwerk zu hören, sonst herrschte Stille. Nicht einmal die Ochsen im Stall regten sich. Murdra überkam eine Gänsehaut. Sie fröstelte, obwohl die Nacht überaus milde war.
Plattenrüstung der Krieger von Setarrif.
»Worauf wartest du?«, drängte die Tochter des Königs. Murdra ging voran. Sie wollte nicht, dass die Herrin ihre Angst spürte. Vor ihr auf dem Boden glitzerte etwas blau im Schein der Fackel. »Was ist das?« fragte die Magd und ging darauf zu. Murdra folgte ihr.
»Ein Handschuh«, sagte die Magd. Dann konnte auch Murdra den Handschuh sehen. Saphire funkelten im Schein ihrer Fackel. Ein dunkler Schatten umgab den Handschuh. Blut, schoss es Murdra durch den Kopf, dann sah sie die Knochen, die aus dem Schaft des Handschuhs ragten. Die Herrin hauchte: »Ist das …?«
»Groms Hand«, wisperte die Magd. Sie spuckte den Apfelstiel auf den Boden und zog ihren Dolch. Die Herrin schrie. Selbst im warmen Fackellicht war sie blass wie ein Leichentuch. Ihre Lippen bebten. Ein dunkles Knurren ertönte in Murdras Rücken.
Murdra drehte sich um.

Zwei Augen funkelten ihr aus der Dunkelheit neben dem Weinkeller entgegen, dann schob sich ein gewaltiger Kopf in den Fackelschein. Geifer troff dem Schattenläufer von den Lefzen; Geifer und Blut. Murdra stockte der Atem. »Geh‘ weg«, flüsterte sie, mit brüchiger Stimme, dann nahm sie aus den Augenwinkeln eine schnelle Bewegung wahr. Die Magd stürmte voran, mit ihrem Dolch, direkt auf den Schattenläufer zu.
»Für Setarrif!« rief sie.
Murdra schnellte nach vorn. Sie bekam die Magd am Arm zu fassen und schleuderte sie nach hinten. Herrin und Magd prallten gegeneinander, gingen zu Boden. Dann stand Murdra allein zwischen den Mädchen und dem gigantischen Tier. Warum sie die Magd aufgehalten hatte, war ihr selbst ein Rätsel. Der Schattenläufer ragte hoch über ihr auf, obwohl er noch einige Schritte entfernt stand.
Es war, als würde er grinsen.
»Beweg‘ dich nicht!« hörte Murdra Belgor rufen. Der Kopf des Schattenläufers fuhr herum. Belgor stand beim Misthaufen und griff nach der Mistgabel, während er wild seine Fackel schwenkte. Der Schattenläufer machte einen Satz nach vorn, kam zwischen Murdra und dem Weinkellertor zum Stehen, den Blick starr auf Belgor gerichtet. Murdra konnte seine Muskeln unter dem dichten, dunklen Fell erahnen.
Dann rannte Belgor los.
Der Schattenläufer senkte knurrend den Kopf. Belgor brüllte. Die Mistgabel prallte am Horn der Bestie ab. Der Schattenläufer sprang voran. Sein Horn schnellte nach oben, erfasste Belgor und schleuderte ihn weit über den Hof. Dumpf prallte Belgor gegen das Dach des Bretterverschlags, der neben dem Stall stand, und stürzte zu Boden. Für einen Augenblick konnte Murdra sehen, wie er vor dem Bretterverschlag lag, reglos, das linke Bein verdreht. Dann war der Hof voller Fackeln, Männer und Schwerter. Jemand stieß hart gegen Murdra. Sie stürzte.

Ein Krieger des Königs stürmte von vorn auf den Schattenläufer zu, das Schwert zum Schlag erhoben. Der Kopf der Bestie schnellte nach vorn, das Maul weit aufgerissen. Scharfe Zähne bohrten sich in das Bein des Mannes. Der Krieger schrie, während der Schattenläufer ihn in die Höhe riss und wütend von einer Seite auf die andere schleuderte. Dann war das Bein entzwei und der Krieger flog kreischend über den Hof, geradewegs auf zwei seiner Gefährten zu, die mit gezogenen Waffen gegen den Schattenläufer anstürmten.
Ein vierter Krieger nutzte die Gelegenheit und rammte sein Schwert mit beiden Händen tief in die Flanke der Bestie. Der Schattenläufer fuhr herum, viel schneller als Murdra es für möglich gehalten hätte. Er schmetterte sein Horn gegen den Brustpanzer des Kriegers. Rippen brachen mit einem lauten Knacken. Der Krieger prallte nach hinten, überschlug sich und blieb reglos auf dem Boden liegen.
Dann war der König da, mit seiner golden schimmernden Rüstung, den schweren Streitkolben in der rechten Hand. Der Schattenläufer sprang auf ihn zu. Horn krachte auf Stahl. Das Maul der Bestie schnellte nach vorn. Ethorn wich behände zur Seite aus. Sein Blick war so wütend wie der Blick des Schattenläufers. Ein Pfeil sirrte knapp am Schädel der Bestie vorbei. Der Schattenläufer drängte auf den König ein, zwang ihn zurück, Schritt um Schritt um Schritt. Dann sirrte ein zweiter Pfeil durch die Nacht, bohrte sich in das rechte Auge der Bestie. Der König erkannte seine Chance. Während der Schattenläufer vor Schmerz brüllte, machte er zwei schnelle Schritte auf die blinde Seite der Bestie. Sein Streitkolben krachte gegen den mächtigen Schädel. Einmal, zweimal, dreimal in schneller Folge. Dann drehte sich Ethorn um seine eigene Achse und ließ den Streitkolben ein viertes Mal krachend auf den Schädel niederfahren. Der Schattenläufer schwankte. Dann bohrten sich viele Schwerter in sein Fleisch, immer und immer wieder. Der Schattenläufer bäumte sich ein letztes Mal auf, dann brach er brüllend auf dem Hof zusammen.

Ethorn wandte sich von der toten Bestie ab, kam mit festen Schritten auf Murdra zu und blieb direkt vor ihr stehen. »Du und dein Mann, ihr habt meine Töchter gerettet«, sagte der König und streckte Murdra die Hand entgegen.
»Töchter?« murmelte Murdra verwirrt und schaute zu Karella, die sich, nicht weit entfernt, vom Boden aufrappelte.
»Mein Dank ist euch gewiss.«
Murdra wischte sich die Hände an ihrer Schürze ab, dann ergriff sie die Hand des Königs. »Der ... der Mann«, stammelte sie, als Ethorn ihr auf die Füße half. Der König schaute betrübt in Richtung des Bretterverschlags, vor dem Belgor lag.
»Meine Heiler werden sich um ihn kümmern«, sagte er. »Und glaube mir, nur die besten Heiler verdienen mein Gold.«

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