01 Rollenspielaktivität ausgeschaltet |
02 Potemkinsches Rollenspiel |
03 Du kommst hier nicht rein |
04 Auf der Suche nach dem Gameplay |
05 Arcania - Noch Fragen? |
06 Xbox 360: Test |
07 Xbox 360: Fazit |
08 Interview mit meditate |
09 Technik-Test: Installation & Kopierschutz |
10 Technik-Test: Tuningtipps |
11 Technik-Test: Benchmarks |
Arcania – Noch Fragen? Eine Höhle voller Goblins. Welch Überraschung! |
Am Ende bleiben jede Menge Fragen offen. Wieso baute Spellbound eine große, zusammenhängende Welt, die in einem Stück geladen wird, wenn sie dann ja doch klein-klein in fein säuberlich getrennte einzelne Stückchen zerschnipselt wurde, die mit Felsenhügeln voller unsichtbarer Wände voneinander getrennt sind und die noch nicht einmal durch übergreifende Quests miteinander verbunden sind. Für das Spielprinzip hätte es dann auch eine simple Levelstruktur wie in Shootern oder in Bioware-Rollenspielen oder dem Witcher getan. Zumal doch sowieso bei fast jedem Gebietswechsel ein Renderfilm dazwischen geschaltet wird, in dessen Hintergrund der neue Abschnitt hätte geladen werden können. Man hat sich mit der gestreamten Welt einen Haufen Arbeit gemacht, der spielerisch gar nicht genutzt wurde.
Wieso gibt es Animationen für das Schmieden, Kochen, Schlafen etc. wenn alle diese Tätigkeiten null Auswirkungen auf gar nichts haben. Gibt es wirklich irgendeinen Spieler da draußen, der sich ein Spiel kauft, um sich anzuschauen, wie seine Spielfigur irgendwelche spielerisch nutzlosen Animationen ausführt? Der seinen Charakter ins Bett legt, um einfach mal eine Stunde zuzuschauen, wie er dort liegt? Auch hier haben sich die Entwickler jede Menge Arbeit umsonst gemacht, anstatt das sinnvoll mit Gameplayfeatures zu verknüpfen.
Die Charakterentwicklung ist derart anspruchslos und beliebig, die würde man auch bedienen können, wenn sie in einer fremden Sprache beschriftet wäre. |
Warum wurde eine Landschaft, die zum Erkunden einlädt, erstellt, wenn man, sobald man sich in etwas bergigem Gebiet befindet, keinerlei Abweichen vom Weg gestattet ist? Für den Zweck hätten auch irgendwelche 2D-Hintergrundkulissen ausgereicht.
Wieso wurden wunderschöne, opulent anzusehende Orte wie Stewark, die Silberseeburg und noch viele andere erstellt, wenn man sie kaum nutzt, weil der Spieler nach ganz wenigen Quests auf Nimmerwiedersehen weiter zieht, nachdem es in ihnen nichts mehr zu tun gibt. Schade um die Arbeit.
Wieso sehen auf der anderen Seite Höhlen und Dungeons so generisch aus, obwohl sie einen wichtigen Teil der Spielwelt ausmachen und man viel Zeit darin verbringt? Es gibt letztendlich nur drei Typen: A) Felsenhöhle, B) gemauerter Dungeon, C) Minenstollen. In allen dreien wiederholen sich die jeweiligen Grafikelemente immer wieder.
Wieso enthält man dem Spieler Setarrif vor, das doch der Hauptgegner der Armee Rhobars III. sein soll? Das ist, als hätte man in Gothic das Neue Lager nicht betreten können. Als hätte dort eine Wache davor gestanden und gesagt „Wir sind hier zwar der große vordergründige Hauptgegner der Story, aber du kommst hier nicht rein. Dein Weg zur nächsten Quest führt jetzt übrigens dort entlang.“
Was soll das Outro-Video? Wieso tauchen dort drei Personen auf, die im gesamten Spiel gar nicht vorkommen? Was hat die darin erzählte Handlung mit der Spielhandlung zu tun? Ereignisse, die in eventuellen zukünftigen Spielen/Addons thematisiert werden, sollen auch bitte dort erzählt werden und nicht hier. Am Ende von Diablo II bekommt man doch auch nicht den Anfang von Diablo III erzählt. Überhaupt, was ist das denn für ein Spielende: Unmittelbar nach dem Endkampf – der Gegner will gerade besiegt zu Boden sinken – folgt das Outro-Video und das wars. Kein Schulterklopfen, kein „Gut gemacht“, kein abschließendes Gespräch mit irgendwem.
FazitArcania bleibt in vielen Disziplinen hinter Genre-Standards zurück. Man muß sich fragen, woran das liegt. War Spellbound als RPG-Neuling nicht in der Lage, die aktuellen Entwicklungen und lange etablierte im RPG-Sektor zu erkennen, aufzugreifen und umzusetzen? Wohl kaum, Spellbound besteht durchaus aus fähigen Leuten. Oder war es Sparzwang, der keine Ressourcen für die Implementierung von Dingen wie abwechslungsreichen Quests, komfortablem Inventar, glaubwürdigen NPC, in der Welt selbst verteilten Hintergrundinfos über die Spielwelt, anspruchsvollem Kampfsystem oder klar und nachvollziehbar erzählter Story übrig ließ? Sollte Arcania tatsächlich genau so werden, wie es veröffentlicht wurde? Was hat man eigentlich dreieinhalb Jahre lang bei Spellbound und Jowood gemacht? An der Grafik gefeilt und kurz vor Schluß bei Wikipedia noch entdeckt, daß in ein Rollenspiel noch diese NPC und sogenannte Quests gehören und davon dann noch ein paar hektisch implementiert? Offenbar war Entschlackung das große Motto, das über allem stand. Lehrer? Weg damit! Handwerk nur an bestimmten Plätzen? Auf die Müllhalde! Gilden und damit einhergehende Einschränkungen? Unzeitgemäß! Freie Entscheidung während des Spielverlaufes? Passt nicht zur extrem linearen Story, die wir erzählen wollen. Unterschiedliche Kampffähigkeiten? Unnützes Zeug. Gothic-Hintergründe? Stören doch nur. Questvielfalt? Den Spieler verwirrender Tand. Viele NPC mit eigenen Geschichten? Lenken nur ab. Offene Welt? Viel zu kompliziert!
Arcania tut nicht wirklich weh, meistens jedenfalls nicht, aber es läßt auch keine Begeisterung aufkommen. Es ist noch nicht einmal „solide“ - ein Attribut, mit dem oft innovationsarme Spiele bezeichnet werden. Es ist oberflächlich, über weite Strecken beliebig und die guten Ansätze, die es zeigt, werden nicht genutzt. Zu keinem Zeitpunkt wird dem Spieler wirklich eine echte Entscheidung abverlangt. Für ein Rollenspiel eine Unmöglichkeit. Die Story verläuft ebenso wie das Leveldesign schnurstracks linear. Design und Inhalt ergänzen sich nicht. Die Welt sieht schön aus, aber sie zieht den Spieler nicht in ihren Bann, weil sich in ihr keine Charaktere befinden, mit denen man mitfiebert, weil in ihr trotz der Story, der man folgt, eigentlich nichts passiert. Man hat lange an der Grafik und am Design gefeilt und kann die Optik des Spiels auch durchaus als sehr gelungen ansehen – doch blieb am Ende vielleicht zu wenig Zeit für Inhalte?
Was soll man von einem Rollenspiel halten, bei dem man die Rollenspielaktivitäten schon per Optionsschalter deaktivieren kann? |
Man kommt zu der Vermutung, daß Jowood wohl nicht die Kompetenz und auch nicht das Kapital besitzt, um mit internationalen RPG-Produktionen mithalten zu können. Andererseits kam so manche RPG-Perle der Vergangenheit von zuvor unbekannten Neulingen - teilweise ohne großes Budget. Was hat Piranha Bytes vor Gothic gemacht? Was hat CD Projekt Red vor The Witcher gemacht? Offenbar hängt vieles von Leuten mit Visionen ab. Wie so oft im kreativen Bereich. Hier gab es keine mitreißende Vision. Arcania ist nicht nur kein Gothic, es ist auch noch kein richtiges Rollenspiel. Es ist letztendlich unglaublich anspruchslos und läßt eine Vielzahl von genreüblichen Gameplaymechaniken und Feedbackmöglichkeiten der Spielwelt einfach unbeachtet links liegen. Ob das in jedem Fall eine bewußte Designentscheidung war oder einfach auf Zeit-, Geld- oder Ideenmangel zurückzuführen ist, wissen wohl nur die Entwickler. Man kann Arcania als Einsteigerspiel bezeichnen. Wer bisher noch nicht viel mit Computerrollenspielen zu tun hatte, bekommt hier eine Ahnung davon, wie Rollenspiele prinzipiell aufgebaut sind, ohne mit Komplexität überfordert zu werden. Fans der bisherigen Gothic-Spiele sind hingegen bei Piranha Bytes besser aufgehoben, da sie mit Arcania aufgrund des stark veränderten Gameplays vermutlich nichts anfangen können werden. Gestandene Rollenspieler wird Arcania ebenso nicht befriedigen können, weil mit den stark vereinfachten Spielmechaniken jede Herausforderung radikal weggeraspelt wurde. Aber zumindest kommt man bugfrei durch Arcania. Ein sehr positives Novum für die Gothic-Serie.
Man muß dem Titel sicher keine Wertung unter 50% geben (das sollte Stümpereien wie Götterdämmerung vorbehalten bleiben, zu denen Arcania ganz klar nicht zählt), aber mehr als 70% lassen sich auch schwerlich verteidigen. Herausgekommen ist ein zwar ziemlich bugfreies und – einen High-End-Rechner vorausgesetzt – sehr schön anzuschauendes, aber ansonsten höchst mittelmäßiges, weil belangloses Spiel.
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geschrieben von Don-Esteban